Geschichte

Geschichte

Dr. Berthold Stein - Odysee in den Ruin

[Quelle: BASF Corporate History / Fotograf: unbekannt]

Lebensdaten: 1894–1956

Beruf: Chemiker

Werkszugehörigkeit: 1929–1938

Diskriminierungs-/Verfolgungsgrund: Jude [gemäß Glaubensbekenntnis]

Schicksal: Entlassung; Auswanderung

Unter allen Umständen strebe er an, Deutschland zu verlassen, verkündet Dr. Berthold Stein, als er im Sommer 1938 erste Gespräche mit seinem Arbeitgeber führt, die seine „nichtarische Abstammung“ [NS-Begriff] betreffen. Für den nach NS-Auffassung „volljüdischen“ Chemiker israelitischen Glaubens sei es ausgeschlossen, „unter den gegenwärtigen Verhältnissen in Deutschland zu bleiben“.

„Die Eigenart des Landes“

Aus der Not heraus zum Aufbruch verdammt, aus Sicht der I.G. Farben aber doch gewissermaßen aus freien Stücken, reist er spätestens im Dezember 1938 – das genaue Datum ist nicht bekannt – in die USA. Er agiert gewissenhaft, möchte vorbereitet sein, bevor seine Ehefrau und die beiden Söhne nachkommen. Vor allem will er im Rahmen seines mehrwöchigen Aufenthalts sehen, „ob er sich auf die Eigenart des Landes einstellen könne“, und sich dann auf die Suche nach einer passenden Stellung machen. In Ludwigshafen arbeitet Berthold Stein seit 1929 in der Alizarin-Abteilung und forscht auf dem Gebiet der Küpenfarbstoffe.

Von der I.G. Farben bekommt er eine dreijährige Karenzzeit auferlegt, mit daraus abgeleiteten Karenzzahlungen, die einen Neuanfang ermöglichen sollen. So die Theorie. Ihr stehen die damals geltenden Devisenbestimmungen gegenüber, die verhindern, dass an Personen mit Wohnsitz im Ausland in größerem Umfang Geld transferiert werden darf. Wohl in der Annahme, sich finanziell frühzeitig absichern zu können, setzt Berthold Stein seinen Arbeitgeber auch über seine weiteren Pläne in Kenntnis: „Glaubt Herr Dr. Stein, sich in die amerikanischen Lebensbedingungen nicht einfügen zu können, will er nach Palästina auswandern, da dorthin für Juden günstigere Transfermöglichkeiten bestehen.“ Letzteres wird sich als Trugschluss erweisen.

Die von Berthold Stein geltend gemachten Erfindervergütungsansprüche – offenbar war er an der Anmeldung von rund 70 Patenten beteiligt – sollen mit einer einmaligen Zahlung von 20.000 RM beglichen werden. Für ihn ist das keine gute Lösung. Er gibt zu bedenken, dass er „für die ihm zufließenden Beträge eine ziemlich hohe Einkommensteuer zahlen müsse […] ferner müsse er auch die Reichsfluchtsteuer zahlen und zwar auch von den ihm erst im Laufe dreier Jahre zufließenden Karenzzahlungen“. Auch setzt Berthold Stein die Vergütungsansprüche für seine Erfindungen deutlich höher an. Ihm stehen seiner Ansicht nach 60.000 RM zu. Es bleibt aber bei dem deutlich niedrigeren Angebot.

„Auf eigenen Wunsch“

Berthold Stein ahnt vermutlich früh: Die Auswanderung, die das weitere Leben, gar das Überleben seiner Familie sichern soll, wird zur finanziellen Herausforderung. Die zugesagten Zahlungen werden ihn im Ausland nur bedingt oder mit großen Abzügen erreichen. Auch an anderer Stelle muss Berthold Stein Rückschläge und Demütigungen ertragen. Im Februar 1939 lässt er über seine Frau Formulierungen in seinem Arbeitszeugnis kritisieren. „Ganz besonders stosse sich ihr Mann […] daran, dass im letzten Absatz des endgültigen Zeugnisses stehe, er sei ‚auf eigenen Wunsch‘ ausgeschieden.“  Sein ehemaliger Arbeitgeber sieht keinen Grund, das Zeugnis entsprechend anzupassen.

Berthold Stein entschließt sich zur Rückkehr nach Deutschland. Sein Timing könnte schlechter nicht sein. Mit Kriegsbeginn strandet er im französischen Marseille und emigriert am 15. März 1940 nach Palästina. Dort lebt er zunächst bei Verwandten in Tel Aviv, später in Jerusalem. Der Umzug macht Berthold Stein aus Sicht der deutschen Behörden nun zum Devisenausländer. Die erste Konsequenz: Ohne Genehmigung der Devisenstelle sei die I.G. Farben nicht mehr dazu berechtigt, „irgendwelche Zahlungen an Ihren Gatten – auch nicht zu Ihren Händen – zu leisten“, teilt man Margarete Stein mit. Dank einer Devisengenehmigung gelingt es später doch noch, die Berthold Stein zustehende Karenzentschädigung an seine noch in Mannheim wohnende Frau auszubezahlen.

„Jahre der Entbehrung“

Margarete Stein und der jüngste Sohn verlassen Deutschland schließlich am 7. September 1940 in einem Flugzeug Richtung Moskau. Sie reisen weiter nach Shanghai. Berthold Stein erfährt von alledem nichts, seit Monaten gibt es keinen Kontakt zwischen ihm und seiner Familie. Der ältere Sohn war bereits im Dezember 1939 allein in die USA ausgewandert – zu diesem Zeitpunkt ist er erst 14 Jahre alt. Jahre vergehen. Erst nach Kriegsende findet Familie Stein in Jerusalem wieder zusammen. Diese Wiedervereinigung bezeichnet Berthold Stein 1954 in einem Bittschreiben an BASF zwar als „höchstes Glück“, er hat sonst aber wenig Erfreuliches zu berichten von seinem neuen Leben in „einem eben erst entstehenden Lande“. An seine früheren Tätigkeiten habe er kaum anknüpfen können und arbeite zu schlechteren Bedingungen. Nicht zuletzt aus anhaltender Verbundenheit zu BASF habe er konkurrierende Angebote nicht angenommen. Er schreibt:

„Die Jahre seitdem sind für mich oder besser für uns Jahre der Entbehrung zeitweise auch der Einschränkung immer gewesen und geblieben. Nichts ist uns von unserem früher erarbeiteten Besitz geblieben. Die gesamten Haushaltsgüter, Bücher u.s.w. sind weg, die Ersparnisse auf der Bank ebenso. Von der seinerzeitigen Karenzentschädigung ist der weitaus größte Teil ebenso mir nicht zugute gekommen. Alles, was wir in unserer mehr als bescheidenen Zwei-Zimmer-Wohnung nun haben, musste vom knappen Einkommen beschafft werden bei allgemeinen, sehr hohen Lebenshaltungskosten.“

Handschriftlicher Brief von Berthold Stein an den BASF-Vorstand, 1954
Ab September 1954 erhält Berthold Stein eine monatliche Rente von BASF. Man hofft, dass er nach der familiären Wiedervereinigung „nunmehr auch eine materielle Grundlage zur Verfügung haben werden“, die er sich „vor Jahren in Ludwigshafen“ erarbeitet habe. Ein spätes Zugeständnis, von dem Berthold Stein nicht lange zehren kann; er stirbt im Dezember 1956 in Jerusalem. Margarete Stein kehrt allein nach Mannheim zurück.
Fragen zur Unternehmensgeschichte?
Wenden Sie sich an das Team von BASF Corporate History.
Erinnerungskultur bei BASF
Lernen Sie die BASF-Initiative „Gedenken. Nachdenken. Umdenken“ kennen.