Geschichte
I.G. Farben-Werke Ludwigshafen/Oppau in Nationalsozialismus und Kriegswirtschaft
Nach der „Machtübernahme“ im Januar 1933 erfolgt schnell der systematische Umbau Deutschlands zum „Führerstaat“ und die Beseitigung des Rechtsstaats durch das NS-Regime. Die Entscheidungsträger der I.G. Farben mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Carl Bosch an ihrer Spitze machen sich die wirtschaftspolitische Zielsetzung der neuen Machthaber zunutze, um die Interessen des Konzerns zu wahren.
Nazifizierung des Arbeitsalltags
Die verantwortlichen Akteure auf Werksebene sind bürgerliche, politisch gemäßigte Konservative. Innerhalb der Belegschaft gibt es schon vor 1933 eine NSDAP-Betriebsgruppe. Nach der „Machtergreifung“ ist die NS-Ideologie bald im betrieblichen Alltag der I.G. Farben-Werke Ludwigshafen/Oppau allgegenwärtig. 1934 hält mit dem Gesetz zur nationalen Ordnung der Arbeit auch dort das autoritäre „Führerprinzip“ Einzug in die Betriebsverfassung. Der NS-Vertrauensrat – mit nur noch beratender Funktion – tritt an die Stelle des freigewählten Betriebsrats. Die Werkzeitung verliert ihre bis dahin bewusst apolitische Grundhaltung und wird zunehmend ideologisch instrumentalisiert. Darüber hinaus gehören Betriebsappelle mit verpflichtender Teilnahme der Beschäftigten ebenso zum Betriebsalltag wie allgegenwärtige Hakenkreuzsymbole.
„Arisierung“ der Belegschaft
Unter dem Eindruck der zunehmenden Radikalisierung der „Judenpolitik“ [NS-Begriff] beschließt der Zentralausschuss der I.G. Farben, der alle wichtigen Personalentscheidungen des Konzerns trifft, im April 1938: Alle noch im Unternehmen verbliebenen jüdischen oder aufgrund staatlicher Verfügung als Juden und Jüdinnen geltende Mitarbeitenden sind zu entlassen. Auch Mitarbeitende, die vom NS-Regime als „jüdische Mischlinge“ definiert werden oder in sogenannten „Mischehen“ (mit „arischen“ Ehepartnern) leben, sind von Diskriminierung und Verfolgung betroffen. Genauso Sinti und Roma sowie politische Gegner des Regimes.
Von den damals knapp 25.000 Beschäftigten der Werke Ludwigshafen/Oppau sind – nach derzeitigem Kenntnisstand aufgrund umfangreicher Recherchen im Unternehmensarchiv – 35 Personen von der antisemitischen NS-Politik betroffen. Offener Antisemitismus ist in der Umsetzung der Konzernvorgaben auf Werksebene nicht erkennbar. Vielmehr scheinen die Verantwortlichen den Betroffenen gegenüber ganz überwiegend eine indifferente und auf formal korrekte „Abwicklung“ bedachte Haltung einzunehmen.
Mehr zu diskriminierten und verfolgten Beschäftigten der I.G. Farben-Werke Ludwigshafen/Oppau
Autarkie und Aufrüstung
Die NS-Wirtschaftspolitik steht seit 1933 und ganz besonders seit 1936 (Verkündung des „Vierjahresplans“ zur Herstellung der wirtschaftlichen und militärischen Kriegsfähigkeit Deutschlands) im Zeichen staatlicher Regulierung. Mit Hilfe einer „gelenkten Wirtschaft“ sollen die staatlich vorgegebenen Ziele Autarkie (Unabhängigkeit von Importen) und Aufrüstung erreicht werden. Syntheseprodukte, deren Herstellungsverfahren in den Werken Ludwigshafen/Oppau entwickelt worden sind und die dort auch hergestellt werden, haben dabei zentralen Stellenwert.
Entsprechend groß sind die Anteile der Werke Ludwigshafen/Oppau an den Investitionsvolumina der I.G. Farben. Sie schlagen sich schon in den ersten Jahren des NS-Regimes im Bau neuer und der Erweiterung bestehender Anlagen nieder. Im Werk Oppau betrifft dies vor allem die Produktion von Stickstoff und Methanol, während im Werk Ludwigshafen insbesondere die Herstellung von Kunststoffen erheblichen Zuwachs verzeichnet, weil auch der Absatz dieser neuen Werkstoffe von der NS-Autarkie- und Aufrüstungspolitik profitiert. Auch die in Ludwigshafen entwickelte Treibstoff-Synthese auf Basis der Kohlehydrierung (Leuna-Benzin) erfährt eine starke Ausweitung. Steigende Produktion und Umsatzerlöse in diesen Bereichen tragen wesentlich zur positiven Gewinnentwicklung der I.G. Farben bei.
Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs werden die Werke Ludwigshafen/Oppau als Lieferant von Vorprodukten für die Rüstungsproduktion immer wichtiger. Hierzu trägt der Bau der dritten Anlage der I.G. Farben zur Herstellung des Synthese-Kautschuks Buna im Werk Ludwigshafen bei. Sie geht 1943 in Produktion.
Die kriegswirtschaftliche Bedeutung der Werke Ludwigshafen/Oppau weist über ihre eigenen Produktionskapazitäten vor Ort hinaus. Im Werk Ludwigshafen erfolgt die Anlagenplanung für alle Hydrierwerke, die während des „Dritten Reiches“ für die Treibstoff-Synthese entstehen. Auch bei dem staatlich forcierten Auf- und Ausbau der deutschen Synthese-Kautschuk-Produktion kommt den Werken Ludwigshafen/Oppau eine, wenn auch nicht die alleinige Schlüsselrolle zu. Neben ihrem wissenschaftlich-technologischen Beitrag liegt dies vor allem an der Konstruktions- und Bauplanung, die in Ludwigshafen für alle insgesamt vier Buna-Werke der I.G. Farben stattfindet. Im Zusammenhang damit stellt das Werk außerdem einen Großteil des für Bau und Betrieb der Buna-Werke notwendigen Fachpersonals – von Facharbeitern und Meistern über Handwerker hin zu Chemikern und Ingenieuren. So auch im Fall des vierten Buna-Werks, das die I.G. Farben ab 1941 unweit des Konzentrationslagers Auschwitz errichtet.
Zur Rolle der I.G. Farben bei der Produktion von Kampfstoffen und Zyklon B
Auf ihrem Werksgelände in Auschwitz-Monowitz setzt die I.G. Farben von Anfang an KZ-Häftlinge zur Zwangsarbeit ein. Ab Oktober 1942 betreibt sie dort das erste firmeneigene Konzentrationslager. Aus den Werken Ludwigshafen/Oppau delegierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden zu Mitwissern und wenige von ihnen auch zu Mittätern bei der Ausbeutung und physischen Vernichtung von KZ-Häftlingen auf der Baustelle des Konzerns in Auschwitz-Monowitz. Die wissenschaftliche Forschung schätzt die Zahl der Todesopfer unter den dort eingesetzten KZ-Häftlingen auf ca. 25.000.
In den Werken Ludwigshafen/Oppau wird die männliche Belegschaft seit Kriegsbeginn zunehmend für den Kriegsdienst zur Wehrmacht eingezogen. Um den dadurch hervorgerufenen Arbeitskräftemangel in den Betrieben zu kompensieren, kommen ab 1940 immer mehr Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen zum Einsatz, Kriegsgefangene und Deportierte aus den deutschbesetzten Ländern Europas. Insgesamt werden während des Krieges mehr als 30.000 Menschen in den Werken Ludwigshafen/Oppau zur Arbeit gezwungen; KZ-Häftlinge sind nicht darunter. Vor allem für die am stärksten diskriminierten Arbeitskräfte aus Polen, der Ukraine und anderen osteuropäischen Ländern sind die Arbeits- und Lebensbedingungen menschenverachtend. Viele Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen sterben aufgrund der Bedingungen ihres erzwungenen Arbeitseinsatzes. Das Management vor Ort trägt die schrittweise Radikalisierung der Arbeitskräftemobilisierung des NS-Regimes mit und tut erkennbar nichts, um die Arbeits- und Lebensumstände der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen zu erleichtern.
Aufarbeitung und Entschädigung
BASF bekennt sich zur Geschichte der I.G Farben-Werke Ludwigshafen Oppau an ihrem heutigen Standort Ludwigshafen und zu deren Rolle innerhalb des NS-Wirtschaftssystems. Deshalb setzt sich BASF kritisch mit ihrer Standortgeschichte auseinander und hält die Erinnerung wach.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zählen die Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen lange Zeit zu den vergessenen Opfern des NS-Regimes und der Unternehmen, in denen sie eingesetzt worden waren. Zwangsarbeit am heutigen BASF-Standort Ludwigshafen wird erstmals 1990 im Rahmen einer öffentlichen Ausstellung thematisiert. 2002 folgt die Veröffentlichung der wissenschaftlichen Unternehmensgeschichte, die die I.G. Farben-Zeit (1925-1952) und damit die Rolle der Werke Ludwigshafen/Oppau unter dem NS-Regime und in der Kriegswirtschaft einschließt.
BASF ist Mitbegründerin der 1999 geschaffenen Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, die im Folgejahr gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft ins Leben ruft. BASF beteiligt sich mit ca. 70 Millionen Euro an deren Stiftungskapital, aus dem von 2001 bis 2007 Zahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen geleistet werden.
2021 gründet BASF die Initiative Gedenken. Nachdenken. Umdenken. Ihr Ziel ist die feste Verankerung einer zukunftsorientierten Erinnerungskultur im Unternehmen.