Geschichte

Kampfstoffe und Zyklon B

Kampfstoffe

Die I.G. Farben produziert während des Zweiten Weltkriegs an Standorten in Dyhernfurth (Schlesien) und Gendorf (Oberbayern) die Giftgase Tabun und Lost. Hierzu bedient sich der Konzern der Betreibergesellschaft Anorgana GmbH mit Sitz in Ludwigshafen. Einer ihrer Geschäftsführer ist ab 1941 der Ludwigshafener Chemiker Otto Ambros, Buna- und Giftgas-Experte der I.G. Farben, seit 1938 Leiter der Anorganischen Abteilung der Werke Ludwigshafen/Oppau und Vorstandsmitglied der I.G. Farben. Er ist federführend an der großtechnischen Herstellung der Kampfstoffe Tabun und Lost beteiligt. Die Sarin-Anlagen in Dyhernfurth und Falkenhagen gehen bis Kriegsende nicht in Betrieb.

Zyklon B

Zyklon B ist ein Giftgas auf Blausäurebasis, das seit September 1941 in Gaskammern von NS-Konzentrationslagern zur systematischen Ermordung von weit mehr als einer Million Menschen, die meisten von ihnen Juden, eingesetzt wird. Ursprünglich als Schädlingsbekämpfungsmittel entwickelt, wird Zyklon B von der 1919 gegründeten Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung mbH (Degesch) bzw. seit 1930/31 von ihren Vertriebsgesellschaften verkauft.

Seit 1930 ist die I.G. Farben mit 42,5 Prozent an der Degesch beteiligt. Der Ludwigshafener „Betriebsführer“ Carl Wurster (1900-1974) gehört seit 1940 ihrem Verwaltungsrat an. Nach Kriegsende (1945) und insbesondere im Rahmen der Nürnberger Prozesse wird die Frage gestellt, ob Verantwortliche der I.G. Farben wussten, dass Zyklon B ab September 1941 zur massenhaften Ermordung von Menschen eingesetzt wurde. Mit letzter Sicherheit lässt sich eine Antwort nicht geben. Gestützt auf erhaltene Unterlagen und Zeugenaussagen gelangen die Richter im Nürnberger I.G. Farben-Prozess zu der Einschätzung, dass nicht zweifelsfrei zu beweisen ist, dass der Angeklagte Carl Wurster von der missbräuchlichen Verwendung des Schädlingsbekämpfungsmittels zur industriellen Massenvernichtung wissen musste. Deshalb wird er 1948 in diesem – wie auch den anderen – Anklagepunkten freigesprochen.

Die historische Forschung geht heute davon aus, dass Gerüchte über die systematische Vernichtung von Juden in Gaskammern schon bald nach deren Ingangsetzung die I.G. Farben-Beschäftigten vor Ort in Auschwitz erreichen. Sie verdichten sich zu Gewissheit, und in Einzelfällen sollen Aufseher der I.G. Farben nicht nur offen über die Vergasung gesprochen, sondern sie auch gegenüber KZ-Häftlingen als Druckmittel für höhere Arbeitsleistungen eingesetzt haben. Außerdem werden die berüchtigten Selektionen von „arbeitsunfähigen“ KZ-Häftlingen zur Vergasung in Auschwitz-Birkenau auch von Beschäftigten der I.G. Farben veranlasst, etwa bei sinkender Arbeitsleistung oder hohem Krankenstand unter den KZ-Häftlingen auf der Baustelle des Konzerns. Sie beteiligen sich sogar an der Durchführung der Selektionen.

Aufgrund des regen Austauschs von Personal und Informationen zwischen der I.G. Farben und ihrem Werk in Auschwitz-Monowitz dringen darüber hinaus Gerüchte über die Vergasungen schnell in die Stammwerke vor – so auch nach Ludwigshafen/Oppau. Auch wenn niemand aus der Führungsspitze der I.G. Farben direkt mit der Todesmaschinerie konfrontiert wird, weil die zahlreichen Besuche der Baustelle in Auschwitz-Monowitz das Vernichtungslager in Auschwitz-Birkenau nicht miteinschließen, ist davon auszugehen, dass die leitenden Manager der I.G. Farben ab Mitte 1943 im Großen und Ganzen über das dortige Geschehen informiert sind. Dies dürfte auch für Carl Wurster gelten, der seit 1938 dem Vorstand der I. G. Farben angehört. 1952, nach Neugründung der BASF, wird er ihr erster Vorstandsvorsitzender.