Geschichte
Dr. Marie Regina Schuster - Tod in Auschwitz
Lebensdaten: 1890–1944
Beruf: Chemikerin
Werkszugehörigkeit: 1920–1925
Diskriminierungs-/Verfolgungsgrund: Jüdin [gemäß NS-Zuschreibung]
Schicksal: eigene Kündigung; Verhaftung; Deportation; Tod im Konzentrationslager Auschwitz
Sie ist eine der ersten Chemikerinnen bei BASF. Ein Studium, zumal mit Promotion abgeschlossen, ist damals für Frauen noch eine Seltenheit. Im September 1920 tritt Dr. Marie Regina Meyer, später Schuster, ihre Stelle im Hauptlabor in Ludwigshafen an. Gerade erst ist sie 30 Jahre alt geworden. Sie geht dort, wie damals für Frauen in diesem Bereich üblich, einer sogenannten literarischen Tätigkeit nach. Schuster ordnet, sichtet und registriert interne wissenschaftliche, vor allem chemische Berichte, um sie für die Forschung leichter zugänglich zu machen. Wie ihr Arbeitszeugnis später dokumentiert, ist sie damals vor allem für Aufbau und Leitung eines entsprechenden Büros zuständig.
„Überzeugte Gegner“
Auch privat sind die frühen 1920er-Jahre für die Chemikerin ereignisreich. 1924 heiratet sie ihren Kollegen Dr. Curt Schuster. Tochter Dorothea wird im Spätjahr 1925 geboren. Im Juni 1925 tritt Marie Schuster aus dem Unternehmen aus und kümmert sich fortan um die Familie. Für die damalige Zeit ist das kein ungewöhnlicher Schritt. Marie Schuster scheint dennoch eine ungewöhnliche Frau gewesen zu sein, auch eine außergewöhnlich mutige.
Politisch ist das Ehepaar Schuster liberal verortet und glaubt an die neue Weimarer Republik. Ab 1927 sind sie Mitglieder in der damaligen linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Sie engagieren sich aktiv für ihre Überzeugungen. Es dürften glücklichere, vor allem freiere Tage im Leben der jungen Familie gewesen sein. Dass Marie Schuster jüdischer Abstammung ist, hat damals – noch – keine einschränkende Bedeutung. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 ändert das. Doch sie kann nicht an den politischen Überzeugungen und dem Kampfgeist von Schusters rütteln.
„Die Macht der Verhältnisse“
Die offene Ablehnung des Nationalsozialismus bringt das engagierte Ehepaar zunehmend in Bedrängnis. Dass Marie jüdische Wurzeln hat, macht die Lage noch gefährlicher für die Familie. Ihre Mutter, Hermine Eleonore Meyer, die seit Ende der 1930er-Jahre bei Schusters in Ludwigshafen wohnt, nimmt sich am 18. Juli 1942 das Leben. Nur wenige Tage zuvor hatte sie die Nachricht erhalten, dass sie nach Theresienstadt deportiert werden solle.
Wie aufwühlend diese Nachricht für die gesamte Familie Schuster gewesen sein muss, zeigen zwei Briefe. Mit diesen wendet sich Curt Schuster hilfesuchend an den Ludwigshafener Werksleiter (Dr. Carl Wurster) und den Aufsichtsratsvorsitzenden der I.G. Farben (Dr. Carl Krauch) noch vor dem Selbstmord der Schwiegermutter. Darin heißt es: „Durch die Macht der Verhältnisse bin ich mit meiner Familie in eine sehr schlimme Lage gekommen und ich wende mich in dieser Not in rein menschlichem Vertrauen an Sie mit der Bitte um Rat und, wenn es Ihnen möglich erscheint, um Hilfe.“ Ob die erbetenen persönlichen Gespräche zustande kommen, ist unbekannt. Hilfe kommt in jedem Fall zu spät.
Im April 1943 werden schließlich Freunde von Curt und Marie Schuster verhaftet, die dabei geholfen hatten, ein jüdisches Ehepaar zu verstecken, und ausländische Radiosender hörten. Nur einen Monat später wird auch das Ehepaar Schuster wegen sogenannter Rundfunkverbrechen verhaftet. Zunächst sind beide in Ludwigshafen inhaftiert, wo sich Ehemann und Ehefrau noch einmal zufällig begegnen. Es sollte das letzte Mal sein.
Ihm wird der Prozess gemacht. Marie Schuster bleibt ohne ein Verfahren inhaftiert, erst in Ludwigshafen, dann in Frankenthal. Von dort aus wird sie im Februar 1944 nach Auschwitz deportiert. „Versuche, durch Vermittlung von Kollegen ihre Beschäftigung als Chemikerin in dem Chemiewerk Auschwitz, das zum Teil unter dem Einfluß der BASF [I.G. Farben-Werke Ludwigshafen/Oppau] stand, zu erwirken, blieben erfolglos“, schreibt Curt Schuster in seinem Erlebnisbericht. Inhaftiert, verurteilt und machtlos kann Curt Schuster seiner Frau nicht mehr beistehen.
Mehr zu der Verbindung zwischen den I.G. Farben-Werken in Ludwigshafen/Oppau und Auschwitz-Monowitz
1944: Ein letzter Geburtstag in Auschwitz
Nur ein paar Wochen nach ihrer Ankunft in Auschwitz stirbt Marie Schuster kurz nach ihrem 54. Geburtstag, laut Sterbeurkunde des Konzentrationslagers am 14. März 1944. Todesursache sei Phlegmone – eine eitrige Entzündung des Bindegewebes – gewesen, so erläutert es zumindest ihr Ehemann, der erst im April 1944 vom Tod seiner Frau erfährt und bitter ergänzt: „Es ist bekannt geworden, daß in Auschwitz medizinische Versuche an Phlegmonekranken gemacht wurden.“
Nach derzeitigem Kenntnisstand ist Marie Schuster die einzige Person aus dem Kreis der früheren oder damals noch aktiven jüdischen oder jüdisch-stämmigen Mitarbeitenden der Werke Ludwigshafen und Oppau, die in einem Konzentrationslager zu Tode kam.
Ihr Mann und ihre Tochter überleben das NS-Regime: Curt Schuster die Haftstrafe sowie die damit verbundene Zwangsarbeit im I.G. Farben-Werk in Leuna, Dorothea Schuster zunächst in Ludwigshafen, dann bei einer Tante im sächsischen Marienberg. Beide kehren nach Kriegsende zurück nach Ludwigshafen, wo Curt Schuster auch seine Tätigkeit im Werk Ludwigshafen wieder aufnimmt.
In der Ludwigshafener Erzbergerstraße 100 erinnern Stolpersteine an das Schicksal von Marie Schuster und ihrer Familie.