Geschichte
Dr. Walter Frankenburg - Was mir zusteht
Lebensdaten: 1893–1957
Beruf: Chemiker
Werkszugehörigkeit: 1923–1938
Diskriminierungs-/Verfolgungsgrund: Jude [gemäß NS-Zuschreibung]
Schicksal: Entlassung; Auswanderung
Spätestens 1935 spürt Dr. Walter Frankenburg, dass er als Jude (laut NS-Definition) in Nazi-Deutschland beruflich mit Konsequenzen rechnen muss. Damals heißt er noch Frankenburger, erst mit der späteren Emigration gibt er die letzte Silbe seines Namens auf. Seit 1923 ist er als Chemiker bei BASF beschäftigt, ist zehn Jahre lang Gruppenleiter im Ammoniaklabor im Werk Oppau. Er kennt sich aus mit Farbfotografie, forscht unter anderem zur Ammoniakkatalyse. Frankenburgs Expertise wird geschätzt. Zumindest ist er 1935 zu einer Fachgruppensitzung des Vereins Deutscher Chemiker eingeladen, soll dort einen Vortrag halten. Weil Mitglieder sich ob des „nichtarischen Vortragenden“ beschweren, wird er kurzerhand wieder ausgeladen. Rassenwahn schlägt Fachwissen. Rückblickend erinnert sich Frankenburg, Diskriminierungen dieser Art öfter erlebt zu haben. Von gravierenderen Anfeindungen blieb er nach eigener Aussage jedoch verschont.
So oder so: Er wehrt sich gegen das Unrecht, das ihm in den Folgejahren widerfährt. Der Fall Frankenburg wird BASF auch noch in der Nachkriegszeit beschäftigen.
Sich nicht auf Eis legen lassen
Walter Frankenburg, seine nicht-jüdische Ehefrau und seine beiden Söhne fühlen sich zunehmend unsicher in Deutschland. Er will so schnell wie möglich ein neues Leben in den USA beginnen. Im Juli 1938 wendet er sich deshalb zunächst mündlich, dann schriftlich an seine Vorgesetzten. Rückblickend begründet er den Entschluss so: „In 1938, my sons were reaching an age in which they started to feel discriminations against them as ‚Half Aryans‘. At the same time, I realised that any hope for a change of the Hitler regime to a better system was merely wishfull thinking.“
Man lädt Walter Frankenburg zum Gespräch. Ein internes Schreiben von Mai 1938 legt nahe, dass Frankenburgs jüdische Abstammung da bereits im Widerspruch zu den einzuhaltenden Vorgaben der NS-Regierung steht.
Wissend, dass Walter Frankenburg nicht bleiben darf und wird, gibt man außerdem zu bedenken, dass „Herr Dr. F. sich an den verschiedensten Stellen immer noch Unterlagen holt, die er ganz zweifellos später bei der Konkurrenz verwerten wird, was ich ihm gar nicht einmal übel-nehmen [sic!] kann. Wir wollen deshalb unser Möglichstes tun, Herrn Dr. Frankenburger jetzt praktisch ‚auf Eis zu legen‘.“
Doch Stillstand entspricht nicht Frankenburgs Charakter. Am 14. Juli 1938 bespricht er Möglichkeiten seines Austritts, unter anderem mit Carl Wurster und seinem direkten Vorgesetzten Hans Grimm, langjähriger Leiter des Ammoniaklabors. Dabei wird festgehalten, dass ihm für seine „beabsichtigte Reise nach Amerika“ weder finanziell noch mit einem „Einführungsschreiben“ geholfen werden kann. Von einer Abfindung soll in diesem Gespräch, so erinnert es Walter Frankenburg später, aber die Rede gewesen sein.
Eine Neuanstellung am Horizont
Besonders Hans Grimm setzt sich für seinen langjährigen Mitarbeiter ein. Er versucht, ihn bei einer der US-Töchter der I.G. Farben unterzubringen, insbesondere der Agfa-Ansco. Das ist auch in Frankenburgs Sinn. Im September 1938 reist er schließlich auf eigene Kosten in die USA, kommt zunächst in New York bei Verwandten unter. Um schneller eine Einwanderungserlaubnis zu erhalten und bei Agfa-Ansco anfangen zu können, will er über Kuba erneut in die USA einreisen. Die Einwanderungserlaubnis lässt aber offenbar bis April oder Mai 1939 auf sich warten. In Ludwigshafen geht man derweil davon aus, dass Frankenburg nach erfolgter Einwanderung in die USA bei der Agfa-Ansco eine Anstellung erhalten wird.
Daran gebunden ist plötzlich auch die Frage, ob Frankenburg in diesem Fall überhaupt eine Abfindung erhalten soll. Würde er bei Agfa-Ansco dauerhaft angestellt, entfiele aus Sicht des Werkes Ludwigshafen die entscheidende Voraussetzung für die Zahlung einer auf 40.000 RM angesetzten Abfindung, verrät eine Aktennotiz vom November 1938. Dennoch einigt man sich im Dezember 1938 einvernehmlich auf die Auflösung des Dienstverhältnisses zum Jahresende. Und dies, obwohl noch nicht alle Modalitäten des Ausscheidens fixiert sind. So kommen die anschließenden Auseinandersetzungen darüber in der Rückschau nicht unerwartet.
Abfinden oder nicht abfinden?
In der Abfindungsfrage fühlt sich Familie Frankenburg bald übertölpelt. „Neu war mir, daß keine Abfindungsansprüche von seiten meines Mannes bestehen, falls er innerhalb der I.G. unterkommt. Darüber habe ich heute meinem Mann telegraphiert“, schreibt Ehefrau Elisabeth. Ihr Mann telegraphiert prompt zurück: „Nichts derart vereinbart. Fragliche Firmen nicht I.G. Rein Amerikan. Unterkommen dort noch ganz fraglich. Bezüge wären nur Bruchteil. Soll ich zu fremd. Firma getrieben werden? Verließ mich auf Loyalität.“ Im Juni 1939 erhält Walter Frankenburg die Nachricht, dass man ihn mit 10.000 RM abfinden würde, eben davon ausgehend, dass er eine „Lebensstellung“ in den USA zu finden schien. Das ist ein Viertel des von ihm Erwarteten.
Walter Frankenburg will sich nicht abfinden, zumal er nie eine Anstellung bei der Agfa-Ansco erhalten wird. Er hält an der in seiner Erinnerung am 14. Juli 1938 mündlich in Aussicht gestellten Abfindung von 40.000 RM fest. Die gegensätzliche Auslegung dieser Angelegenheit wird nach Kriegsende Gegenstand eines längeren Rechtsstreits zwischen BASF und Frankenburg. Der Disput wird 1953 mit einem Vergleich beigelegt. Frankenburgs Restforderung in Höhe von 30.000 RM wurde umgerechnet und in Höhe von 3.000 DM ausbezahlt. Wo Walter Frankenburg schließlich eine Anstellung findet, lässt sich derzeit nicht rekonstruieren – bei Agfa-Ansco jedenfalls nicht. Er soll Leiter des wissenschaftlichen Labors eines US-amerikanischen Tabakkonzerns gewesen sein und stirbt 1957 in den USA.