Ursprünglich wollte Andreas Büchse Landwirt werden. Heute trägt er als Statistiker in der Forschung der BASF dazu bei, dass aus Experimenten möglichst viele Erkenntnisse gewonnen werden. Es geht um Fortschritt etwa bei der biologischen Abbaubarkeit von Kaffeekapseln, Waschmitteln oder Salatfolie auf dem Acker. Den engen Bezug zur Landwirtschaft hat er so bis heute. Seine statistischen Modelle optimieren nicht nur Produkte, die wir täglich nutzen – sie können sogar Versuche an Tieren oder Menschen vermeiden.
Als Statistiker setzt du dich in der Forschung bei BASF hauptsächlich mit Zahlen, Daten, und Formeln auseinander. Ist das nicht total trocken?
Für mich nicht. Zahlen und andere Daten enthalten oft versteckte Botschaften und Informationen, die man nicht auf den ersten Blick erkennt und die darauf warten, entdeckt zu werden. Die Suche danach macht mir großen Spaß. Das weckt in mir eine gewisse Goldgräber-Stimmung. Ich versuche, Muster und Trends zu erkennen. Im besten Fall sind diese Muster nicht trivial, sodass andere sie nicht entdecken und wir in der Forschung damit einen Vorsprung vor Wettbewerbern haben. Ein anderer Aspekt: Ich helfe gern, und als Data Scientist ist man auch eine Art Katalysator, der den Kollegen im Teamverbund hilft, erfolgreich zu sein. Das ist ein schönes Gefühl.
Wie kann man sich deine Arbeit als Data Scientist, also Datenwissenschaftler, praktisch angewendet in der Forschung vorstellen?
Wir versuchen in der Forschung, verschiedene Eigenschaften von Produkten bestmöglich miteinander zu vereinen. Das Produkt, zum Beispiel eine Verpackung, soll den Supermarkt überleben, aber am Ende seiner Nutzung möglichst rückstandsfrei von Mikroorganismen zersetzt werden können.
Mit statistischen Modellen kann ich Eigenschaften wie die biologische Abbaubarkeit von Polymeren, den Rohstoffen für Kunststoffe, vorhersagen. Um das perfekte Rezept für ein neues Produkt zu finden, kann ich ausrechnen, wo der Schnittpunkt, also der optimale Kompromiss aus Haltbarkeit und Abbaubarkeit, preislichen Aspekten und allerlei anderen Faktoren ist. Damit helfe ich meinen Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Arbeitsgebieten bei der Entwicklung neuer Polymere – zum Beispiel für effektive Wirkstoffe in Cremes oder umweltverträglichere Waschmittel.
An welchen konkreten Produkten hast du mitgearbeitet?
An der Entwicklung von kompostierbaren Kaffeekapseln aus dem Biokunststoff ecovio® habe ich mitgearbeitet. Es ist ein schönes Gefühl, einen Teil dazu beigetragen zu haben, dass dadurch hoffentlich eine Menge Müll vermieden wird. Wobei Kaffee natürlich grundsätzlich eine schlechte Ökobilanz hat – ich trinke aber auch selber zu viel, dann aber meist frisch gemahlen aus der Maschine – ohne Kapseln.
In einem anderen Projekt geht es um eine Folie nach dem Vorbild von Haifischhaut für die Rotorblätter von Windturbinen, BASF versucht zusammen mit den Windturbinenbetreibern, die Leistung der Anlagen zu steigern. Für die Windkraftanlagen-Betreiber stellt sich natürlich die Frage, wie viel mehr Strom sie mit der Folie erzeugen können und ob es sich lohnt, ihre Anlagen damit auszustatten. Mit statistischen Modellen werte ich die Daten aus Tests an beklebten Anlagen aus und versuche, den potenziellen Mehrertrag zu bestimmen. Wenn wir damit weltweit alle Betreiber überzeugen können und mit einem chemischen Produkt die produzierte Windenergie steigern können, das wäre großartig.
Wie trägt Data Science noch dazu bei, die Forschung und Entwicklung weiterzubringen?
Die Forschung bei BASF erfolgt meist empirisch, das heißt sie wird durch die Bewertung von experimentellen Ergebnissen getrieben. Ich stelle als Forscher sozusagen der Natur eine Frage. Wir generieren dann oft enorme Mengen an Messergebnissen und anderen Daten. Statistik hilft, dieser Datenflut Herr zu werden. Statistik hilft aber auch, die Experimente vorab gut zu planen, um möglichst informative Daten zu erhalten. So kann BASF mit so wenig Aufwand wie möglich maximal viel Wissen aus den Experimenten ziehen.
Data Science macht auch moralisch in der Forschung Sinn. Denn sie kann dazu beitragen, dass für die Zulassung eines Produkts weniger klinische Studien mit Menschen oder Tierversuche nötig werden.
Ein Beispiel ist UV-Schutz für Sonnencremes, die bisher sehr aufwändig an Menschen getestet werden. Ich habe meine Kolleginnen und Kollegen in der Forschung z.B. dabei unterstützt, diese Tests in Zukunft durch in-vitro-Verfahren und mathematische Modelle zu ersetzen.
Forscherinnen und Forscher sind naturgemäß eher sachlich und wissenschaftlich orientiert. Welche Rolle spielt dein Bauchgefühl?
Statistische Modelle zu entwickeln, die gute Vorhersagen erlauben, ist für mich auch ein bisschen Kunst. Gute statistische Datenanalyse braucht Erfahrung und definitiv auch ein gutes Bauchgefühl. Mittlerweile werden Daten zunehmend automatisch ausgewertet. Das funktioniert bis zu einem gewissen Grad auch gut, aber es gibt Grenzen. Man sollte den Menschen mit seinem umfassenden Kontextwissen und seiner Erfahrung nie völlig außen vor lassen. Die chemischen und physikalischen Vorgänge – insbesondere in Formulierungen – können sehr komplex sein, und nicht alles lässt sich durch unsere eher simplen und mechanistischen Modelle fassen. Deshalb ist es wichtig, stets demütig zu bleiben vor dem Experiment – und natürlich vor der Expertise und Erfahrung der Chemikerinnen und Chemiker.
Wie kam es dazu, dass du nach deinem Landwirtschafts-Studium in Göttingen eine Karriere als Experte für Data Science eingeschlagen hast?
Da ich selbst nicht direkt von einem Hof komme, hatte ich keine guten Karten, beruflich in der praktischen Landwirtschaft Fuß zu fassen. Mich hat die angewandte Forschung fasziniert und so habe ich eine akademische Laufbahn verfolgt. Am Institut für Zuckerrübenforschung in Göttingen bin ich während der Promotion über das Thema Pflanzenzucht in die statistische Datenanalyse „reingerutscht“, einfach weil ich massenhaft Daten hatte, die zusammengefasst werden mussten. Plötzlich hat das Spaß gemacht und dann habe ich am Institut einige Jahre für die Kollegen landwirtschaftliche Experimente ausgewertet.
Danach war ich selbstständig als Berater für Statistik, habe als Assistenz-Professor am Lehrstuhl für Bioinformatik an der Universität Hohenheim gearbeitet und dann 2007 bei BASF im Agrarzentrum Limburgerhof im Bereich Datenmanagement angefangen. Mein Forscherherz hat mich schließlich vor über 10 Jahren in die zentrale Forschung der BASF gezogen, wo ich seitdem als Data Scientist sehr anwendungsbezogen forsche. Das ist für mich die ideale Stelle.
Was sagst du jungen Menschen, die den Mut an die Zukunft verlieren?
Wir müssten unser Verhalten radikal ändern, um die Klimakrise aufzuhalten. Doch dazu sind wir offenbar nicht bereit, also müssen wir versuchen, die schädlichen Nebenwirkungen unseres Tuns durch technische Innovationen zu minimieren. Wir sind gerade in einer kritischen Phase, und um kurzfristig etwas zu erreichen, muss die Forschung in der Industrie etwas bewegen – sei es bei der Bioabbaubarkeit oder der verbesserten Effizienz von Prozessen. Ich bin in meinem Job mit vielen unterschiedlichen Forschungsbereichen im Austausch und sehe, wie es an allen Stellen mit vereinten Kräften in die richtige Richtung geht.
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