Porträt Martina Sasso, Algenwälder im Hintergrund
Medien

Meeresschutz:
Für die Zukunft der Ozeane

20. Februar 2025

Martus tiefe Verbundenheit zum Meer

Die argentinische Umweltaktivistin und Marketingexpertin Martina Sasso revolutioniert mit ihrer Nichtregierungsorganisation (NGO) Por el Mar den Meeresschutz in ihrem Land. Porträt einer Visionärin, Pragmatikerin – und unermüdlichen Erfolgsfrau.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Dank Sassos Engagement wurden unter anderem Lachsfarmen im Meer verboten und die Zerstörung von Algenwäldern gestoppt.
  • Por el Mar basiert auf einem Konzept, das gesellschaftliches Engagement, wissenschaftliche Forschung, politische Lobbyarbeit und effektive Öffentlichkeitsarbeit miteinander verknüpft.
  • Die Organisation plant, in Zukunft den Lebensraum von Haien besser zu schützen. Diese sind in Argentinien stark bedroht.

Engagierter Einsatz für Biodiversität

Vor wenigen Jahren noch war Meeresschutz in Argentinien kaum ein Thema. Marine Schutzgebiete? Gab es, ja, aber nur wenige, kleine. Lachsfarmen belasteten argentinische Gewässer. Und Algenwälder wurden mehr und mehr gerodet, dabei sind die Unterwasser-Ökosysteme als CO2-Speicher genauso wichtig für den Planeten wie die tropischen Regenwälder. 

Dann kam Martina Sasso. Seit 2017 arbeitet sie hauptberuflich als Meeresschützerin. Heute stehen weite Teile der südlichen argentinischen Gewässer unter Naturschutz. Algenwälder dürfen nicht mehr unkontrolliert vernichtet werden. Zudem war Argentinien das erste Land weltweit, das Lachsfarmen im Meer per Gesetz verboten hat. Ohne Sassos Engagement wäre es wohl zu keiner dieser Veränderungen gekommen – jedenfalls nicht so schnell. Und sie hat noch viel mehr erreicht. 

Martina Sasso, 38, aus Buenos Aires ist studierte Filmregisseurin und Kommunikationsexpertin, erfahrene Werbe- und Marketingfrau. Gründerin der Meeresschutzorganisation Por el Mar (Für das Meer). Chefin von 38 Mitarbeitenden, davon etwa drei Viertel Frauen. Sie ist Ansprechpartnerin von Gouverneuren argentinischer Bundesstaaten und Bundesministern. Eine Pragmatikerin, deren Konzept zum Schutz des Meeres sich bewährt hat. Und sie ist Visionärin. „Auf der Erde haben wir innerhalb der vergangenen rund hundert Jahre einen Großteil der Biodiversität verloren, der Reichtum an Flora und Fauna ist geschrumpft. Aber ich glaube daran, dass wir zurückgewinnen können, was wir einst hatten. Uns bleibt genug Zeit für Veränderungen.“ Dafür arbeitet sie 60 Stunden die Woche. Oder mehr. 

Porträt Martina Sasso

MARTINA SASSO

Geboren und aufgewachsen in Buenos Aires, geht Sasso mit 19 Jahren nach Costa Rica, betreibt dort ein Restaurant am Strand. Zurück in Argentinien, studiert sie Werbung und Filmregie, arbeitet dann als Creative Director in einer Werbeagentur, bis sie 2017 hauptberuflich zur Umweltschutzorganisation Rewilding Argentina geht. 2022 gründet sie die Meeresschutzorganisation Por el Mar. Die 38-Jährige ist Mutter eines Sohnes. Ihre Hobbys: Segeln, Surfen, Gitarrespielen und Trommeln.

Martu und das Meer: ein Leben für den Schutz der Ozeane

Zu unserem Zoom-Interview erscheint sie auf die Minute pünktlich um 13 Uhr argentinischer Zeit, um sich gleich zu entschuldigen: „Ich habe den ganzen Vormittag Interviews gegeben. Darf ich mir eben einen Tee machen?“ Natürlich darf sie das! Und meldet sich sechs Minuten später wieder zurück. Sie trägt einen Fleecepullover, dessen vielfarbiges Muster an indigene südamerikanische Designs erinnert, und das Label, Patagonia, ist sicherlich kein Zufall: Gründer Yvon Chouinard ist ebenfalls großer Umweltaktivist, das Unternehmen wichtiger Sponsor von Por el Mar. Vor Sasso steht ein Mate-Tee, den sie stilecht mit Metallhalm trinkt. Ihr sehr langes dunkles Haar bindet sie zu Beginn unseres Gesprächs zu einem Knoten und strahlt. Ständig. Verbreitet Optimismus, Freude und Lebendigkeit, auch wenn sie über schwere, anstrengende Themen spricht. Es ist, als verfügte sie über ein inneres Solarkraftwerk inklusive Akkus. Als brauchte sie nur Licht und Luft, um vor lauter Energie, Ideen und Schaffensdrang zu strahlen. 

Ich spüre eine tiefe Empathie mit den Tieren der Ozeane.“

„Ich bin ein Workaholic“, gesteht Sasso, die fast alle nur Martu nennen, ob Mitarbeiter oder hohe Politikerin. Meist arbeitet sie von morgens 8 bis abends 8 oder 9 Uhr, aber nur montags bis freitags, die Wochenenden gehören der Familie, und die besteht aus ihrem kleinen Sohn und ihr. „Vor sieben Jahren habe ich geheiratet, vor drei Jahren wurde unser Sohn Beto geboren, im selben Jahr starb mein Mann. Ein Jahr später gründete ich meine Organisation Por el Mar. Irgendwie ist alles gleichzeitig passiert.“ Inneres Kraftwerk? „Ich liebe die Natur, fühle mich mit ihr verbunden. Diese Verbindung gibt mir Kraft. Mich interessiert nicht nur das Meer, aber es ist meine große Leidenschaft. Ich bin Seglerin und Surferin. Und ich spüre eine tiefe Empathie mit den Tieren der Ozeane.“ Viel zu vielen Menschen fehlt diese Empathie. Sie wissen: Wenn die Meere kaputtgehen, endet auch die Geschichte der Menschheit, sofort. Aber sie spüren keine emotionale Beziehung zu den Ozeanen. So geht es auch vielen Menschen in Argentinien, weiß die Aktivistin. „Das Meer ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, wir exportieren 95 Prozent dessen, was wir herausholen. Aber Argentinien betreibt wenig Meeresforschung.“ Der Ozean scheint irgendwie uninteressant zu sein. Um das zu ändern, veranstaltet Por el Mar Schwimm- und Stand-up-Paddling-Kurse in meeresnahen Orten und Regionen. Sie gehören zu einer von vier Säulen, auf denen der Erfolg der Organisation ruht. 

1. Vor Ort gemeinsam aktiv werden

Sasso nennt die erste Säule „Community Stewardship“. Anders als viele andere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sendet Por el Mar keine Umweltpädagogen aus, sondern stellt Mitarbeitende an den Orten ein, an denen sich etwas ändern kann und soll. Diese einheimischen Expertinnen und Experten entwickeln gemeinsam mit den Menschen in ihrer Nachbarschaft Programme und Aktivitäten, um das Bewusstsein für die Meere und deren Schutz zu fördern. Dazu gehören Tauchkurse für Kinder, Strandsäuberungstreffen, Workshops oder gemeinsame Tierbeobachtungen. 

2. Naturschätze erforschen und bewahren

Die zweite Säule umfasst den Bereich Wissenschaft,  Forschung und praktische Meeresschutzmaßnahmen. So kartografieren bei Por el Mar angestellte Wissenschaftler beispielsweise wichtige Unterwassergebiete, von denen es noch keine Karten gibt. Auch führt die NGO zurzeit ein Projekt zur Wiederaufforstung der Algenwälder durch. 

3. Die Umwelt auf die Agenda setzen

Als dritte Säule folgt die Lobbyarbeit. „Wir gehen zu lokalen und regionalen Politikern, wir gehen in den Nationalkongress, wir sprechen mit allen.“ 

4. Aufmerksamkeit für marine Ökosysteme schaffen

Zu guter Letzt ist Öffentlichkeitsarbeit – die vierte Säule – für den Erfolg der Organisation entscheidend. „Wir haben ein großartiges Kommunikationsteam.“ So hat Por el Mar 2024 zum Beispiel den Kurzfilm „Pyrifera“ über die Unterwasserwelt der Region Patagonien veröffentlicht und bewirkt, dass am 8. Juni, dem UN-Welttag der Ozeane, öffentliche Gebäude abends blau illuminiert wurden. 

Dank dieser vier Säulen brauchte Sasso für die meisten ihrer Projekte nur zwei bis drei Jahre, dann – zack! – war sie am Ziel:
Ein neues Gesetz wurde verabschiedet, ein neues marines Naturschutzgebiet ausgewiesen. 

Auch Rückschläge gehören beim Meeresschutz dazu

Dabei hatte ihre Karriere als Meeresaktivistin mit einem großen Misserfolg gestartet. In ihren Zwanzigern arbeitete sie als Creative Director in einer großen Werbeagentur. Zu ihrem Job gehörte es, große Unternehmen strategisch zu beraten. „Ich beschloss, das Gleiche in meiner Freizeit zu tun. Südlich von Buenos Aires liegt Mundo Marino, ein Meerespark mit Aquarium, in dem Kshamenk, ein einsamer Orca, in einem kleinen Becken lebt. Auch Delfine gibt es dort, um die Besucher zu vergnügen. Mir taten diese Tiere furchtbar leid.“ Zu jener Zeit protestierten Aktivisten gegen die Tierquälerei, sie sprühten Parolen an die Wände, „Orca-Mörder!“, erreichten allerdings nichts. Sasso wandte sich an die Unternehmensleitung. „Ich schrieb eine E-Mail: ‚Was können wir tun, damit Ihr Park ohne große Meerestiere auskommt? Die Zeiten ändern sich, die Menschen wollen so etwas nicht mehr. Sie brauchen einen Zukunftsplan, sonst können Sie bald dichtmachen.‘ Sie luden mich ein, wir begannen zusammenzuarbeiten. Ich stellte Kontakt zum Disney-Management her, von dem sie lernen konnten, wie man einen tollen Park ohne Tiere macht. 

Ich mache weiter. Und zwar mit meiner gesamten Kraft.“

Sechs Monate lang arbeitete ich tagsüber in der Werbeagentur und ackerte abends wie verrückt für Mundo Marino, ehrenamtlich.“ Am Ende der sechs Monate erlebte Sasso einen Schlüsselmoment. „Es war in einem Vorstandsmeeting. Sie schauten mich an und sagten: ‚Martu, weißt du was? Deine Ideen und Pläne sind wunderbar, aber wir verdienen gutes Geld mit dem, was wir jetzt machen. Wir müssen nichts ändern.‘“ Auf dem Heimweg – vier Stunden mit dem Auto waren es jeweils pro Strecke – weinte sie. Vor Wut, vor Enttäuschung. Aber nicht vor Verzweiflung. Als sie zu Hause ankam, stand ihr Entschluss fest: „Ich mache weiter. Und zwar mit meiner gesamten Kraft und Aufmerksamkeit.“ Sie kündigte ihren Job in der Werbeagentur. Begann, hauptberuflich im Umweltschutz zu arbeiten. Wurde 2017 Leiterin des Meeresprogramms der großen Organisation Rewilding Argentina. Gründete 2018 die weltweite Initiative „Global Salmon Farming Resistance“. Und 2022 Por el Mar. Die NGO verfügt heute über ein Jahresbudget von 2 Millionen Dollar – allein aus Spenden von Unternehmen, Stiftungen, Partnerorganisationen. 

Algenwaldprojekt
Martina Sassos NGO führt zurzeit ein Projekt zur Wiederaufforstung der Algenwälder im Süden Argentiniens durch.
 

Das nächste große Projekt: Der Schutz von Haien

Den Vorsitz der internationalen Anti-Lachszucht-Liga gab Martu letztes Jahr ab. „Es wurde mir zu viel. Und wenn ich eines gut kann, dann ist es: die richtigen Leute finden, Teams zusammenstellen.“ In Argentinien ist Lachszucht ja ohnehin kein Thema mehr, aber es gibt genug anderes zu tun. So hat Por el Mar beispielsweise ein Forschungslabor aufgebaut, in dem Biologen – in Zusammenarbeit mit internationalen Forschenden – die Zucht von Algen zur Aufforstung des Unterwasserwaldes erproben. Ihr nächstes großes Projekt: der Schutz von Haien. „Argentinien hat 80 Prozent seiner Haipopulation verloren. Die Menschen jagen Haie, töten sie aus Spaß, als Hobby. Es ist eine beliebte Wochenendvergnügung, die getöteten Tiere werden nicht genutzt.“ Deshalb will Por el Mar künftig Haireservate schaffen. Und bewirken, dass die Menschen die emotionale Beziehung zum Meer und seinen Tieren wiedererlangen, die sie einstmals hatten. Von Natur aus. 

Fotos: Joel Reyero (4), Cristian Lagger for Por el Mar Foundation, Carolina Pantano