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Aus verschiedenen Blickwinkeln

Wenn Abfall wegfällt

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Es dreht sich alles um neue Denkweisen

Talke Schaffrannek

ist Director of Circular Economy bei BASF in Ludwigshafen. Davor war sie in den Aufgabenbereichen angewandte Nachhaltigkeit, Geschäftsentwicklung in Asien, Diversity und Inclusion sowie Produktmanagement tätig. Sie hat einen Master of Business Administration (MBA) von der Mannheim Business School und der chinesischen Tongji-Universität in Schanghai.

Im Kern geht es in einer Kreislaufwirtschaft meiner Ansicht nach darum, Wachstum und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Wir müssen zu intelligenteren Wachstumsmodellen gelangen, die nicht auf begrenzte Ressourcen setzen, sondern stattdessen Abfall in Rohstoffe verwandeln. Zusammen mit meinem Team hier bei BASF haben wir vor Kurzem ein Programm für Kreislaufwirtschaft mit konkreten Maßnahmen in drei Bereichen auf den Weg gebracht: neue Rohstoffe für den Kreislauf (recycelt und erneuerbar); neue Materialkreisläufe (direkte Recyclingkreisläufe und solche, die Kreislaufwirtschaft ermöglichen); und neue Geschäftsmodelle (digital und dienstleistungsbasiert).

Neue Rohstoffe

Wir werden die Menge an erneuerbaren und recycelten Rohstoffen aus nachhaltigen Quellen, die wir bereits als Drop-in-Lösung einsetzen, weiter erhöhen. In einem herausfordernden Umfeld mit begrenzter Verfügbarkeit alternativer Rohstoffe verfolgen wir noch das Ziel, ab 2025 jährlich 250.000 Tonnen recycelte und abfallbasierte Rohstoffe in unserer Produktion zu verarbeiten, zum Beispiel Pyrolyseöl aus gemischten Kunststoffabfällen oder Altreifen. Der zertifizierte Massenbilanzansatz ermöglicht es uns, Produkte mit einem zugewiesenen Anteil an erneuerbaren oder recycelten Rohstoffen anzubieten. Kunden können diese Produkte wählen, wenn sie einen Beitrag zur Einsparung fossiler Ressourcen und zu einem geringeren Kohlenstoff-Fußabdruck leisten wollen. Wir bieten auch ein biobasiertes Portfolio an, z.B. für KörperpflegeprodukteErnährung oder Kunststoffe.

Neue Materialkreisläufe

Eine Kreislaufwirtschaft kann nur erreicht werden, wenn bei der Produktentwicklung Zirkularität eingeplant wird. Für BASF beginnt dies damit, gemeinsam mit unseren Kunden langlebige Materialien zu konzipieren, die selbst am Ende der Lebensdauer einen hohen Materialwert besitzen. Für das End-of-Life-Management entwickeln wir Additive und Klebstoffe, die die werkstoffliche Verwertung von Endprodukten verbessern oder ermöglichen. Darüber hinaus arbeiten wir an der Etablierung produktspezifischer Recyclingkreisläufe, zum Beispiel für Matratzen und Batterien. Wir arbeiten mit Partnern über die gesamte Wertschöpfungskette von der Wertstoffsammlung bis hin zur Entwicklung der Technologie für die Verarbeitung des Materials zusammen. 

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Neue Geschäftsmodelle 

Wir erschließen neue Märkte, schaffen smarte digitale Lösungen und bieten neue Dienstleistungen an, die eine Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch ermöglichen.

Wir selbst haben uns zum Ziel gesetzt, 250.000 Tonnen Rohstoffe bis 2025 auf Recyclat-Basis anstelle von fossilen Rohmaterialien zu verwenden. Den Hauptbeitrag dazu wird unser Projekt ChemCycling™ leisten. Hier stellen wir Hochleistungsprodukte, wie zum Beispiel Autobauteile, aus Ausgangsmaterialien her, die aus Reifen oder Abfall aus Mischkunststoffen im industriellen Maßstab stammen. Darüber hinaus werden nachhaltige biobasierte Rohstoffe zunehmend endliche Rohstoffe ersetzen.

 

Wir wollen auch die Lücken in direkten Recyclingkreisläufen für die von uns verkauften Produkte schließen. Beispiele sind Polyurethane für Schaumstoffmatratzen oder Batteriematerialien für Elektroautos. Innovationen in der Chemie werden eine Schlüsselrolle dabei spielen, diese Produkte kreislauffähig zu machen. Intern haben wir ein Kofinanzierungsprogramm geschaffen, um innerhalb der Geschäftseinheiten die Ideenfindung anzuregen. Dabei bieten wir finanzielle Unterstützung und Coaching an, um neue Ideen für Projekte im Bereich Kreislaufwirtschaft hervorzubringen. Bislang haben wir über 20 Vorhaben weltweit unterstützt.

 

Die meisten Geschäftsmodelle im Bereich Kreislaufwirtschaft sind nur durch digitale Lösungen wie Sendungsverfolgung (Tracking und Tracing) oder die Optimierung komplexer Logistik realisierbar. Wir arbeiten hier mit Start-ups und Partnern in der Wertschöpfungskette zusammen und sind immer auf der Suche nach neuen Kooperationen.

Chancen aufspüren

Ein perfekt passendes Beispiel für Partnerschaften ist unser Projekt „waste-2-chemicals“ in Nigeria. Mit großem Unternehmergeist arbeiten die Kollegen mit örtlichen Nichtregierungsorganisationen in Lagos zusammen, um Mischkunststoffabfall zu sammeln, aus dem dann durch thermochemische Umwandlung der hochwertige Rohstoff Pyrolyseöl entsteht. Es handelt sich um ein kleines Projekt, das aber lokal große Wirkung entfaltet, weil es den Menschen, die Müll sammeln, ein Einkommen bietet und dazu beiträgt, dass Plastikabfälle nicht in die Umwelt gelangen.

 

Für BASF bietet die Kreislaufwirtschaft viele Chancen – nicht nur, indem direkte Kreisläufe geschlossen werden, sondern auch durch den Beitrag zu einer wesentlich effizienteren Nutzung der Ressourcen. Diese Ansätze können nur funktionieren, wenn wir aufhören, in Kategorien wie „Nehmen – Machen – Entsorgen“ zu denken, und wenn wir den Mut haben, neue Geschäftsmodelle mit vielen unbekannten Variablen auszuprobieren. Bei der Kreislaufwirtschaft geht es nicht nur um Technologie, und auch nicht nur um Marketing oder Abfallsammlung – es geht vor allem um eine Veränderung der Denkweise. Wir müssen weltweit Lösungen finden, die Wachstum und Ressourcenverbrauch voneinander entkoppeln. Ich bin der Überzeugung, dass die chemische Industrie und insbesondere BASF bei diesem Wandel eine Vorreiterrolle übernehmen können.