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Abfall ist Nahrung

William McDonough
ist Architekt und weltweit führend bei nachhaltiger Entwicklung und nachhaltigem Design. Er ist Mitverfasser von Cradle to Cradle: Einfach intelligent produzieren, ein Pionier der Kreislaufwirtschaft und treibt den Aufbau eines Rahmenkonzepts für Kohlenstoffmanagement voran. Dies integriert sowohl die tatsächliche Dekarbonisierung der Atmosphäre als auch die Rekarbonisierung der Bio- und Technosphäre.

Creating Chemistry: Viele glauben, dass wir unseren Verbrauch einschränken müssen, um Ressourcen zu schonen. Sie aber sprechen von einem Überfluss an Ressourcen. Warum?
WILLIAM MCDONOUGH: Als Kind habe ich Wasserknappheit in Hongkong erlebt, die Sommer aber im US-Bundesstaat Washington verbracht, wo es neben ausgedehnten Waldgebieten auch Forellen, Lachs und Austern in Hülle und Fülle gab. So kam ich vom Mangel zum Überfluss. Ich stelle immer die Frage, wie man die Dinge aus dem entgegengesetzten Blickwinkel betrachten und die Debatte unter anderen Vorzeichen führen kann. Was wäre, wenn wir die Systeme umgestalten könnten, die die natürlichen Rohstoffe aufbrauchen? Stattdessen könnten wir Wege entwickeln, diese in Ressourcen umzuwandeln und so auf positive und gesunde Weise im Umlauf halten. So sorgt die Natur für Reichhaltigkeit.
Wie lässt sich das auf Abfall anwenden?
Wir müssen uns von dem Abfallgedanken verabschieden; in der Natur gibt es nur Nährstoffe, die den nächsten Wachstumszyklus speisen. Die Biologie lehrt uns, dass Leben durch die von der Sonne ausgestrahlte Energie entsteht zusammen mit dem Kohlenstoff in der Atmosphäre. Ein gesundes Wachstum beruht auf Quellen wie Sonnenenergie und Kohlenstoff sowie auf einem offenen System chemischer Stoffe, die zum Nutzen der Organismen und ihrer Vermehrung eingesetzt werden.
Wenn Abfall eine Ressource am falschen Ort ist, gilt das auch für Kohlenstoff?
Viele Gesellschaften verteufeln Kohlenstoff inzwischen, aber das Leben beruht darauf. Atmosphärische Kohlenstoffemissionen sind im Grunde ein Gift, ein Material am falschen Ort, in der falschen Dosis und von falscher Dauer. Am richtigen Ort ist Kohlenstoff eine Quelle des Lebens, eine Ressource und ein Werkzeug. Er ist insofern ungewöhnlich, als er sowohl Material als auch Brennstoff sein kann. Um Länder auf der ganzen Welt zusammenzubringen, um das Problem des Klimawandels zu lösen, müssen wir die auf Kohlenwasserstoff basierenden Volkswirtschaften einbeziehen und ihnen einen gemeinsamen Fahrplan für das Management der Kohlenstoffkreisläufe in einer regenerativen und kreislauffähigen Wirtschaft vorlegen.
Was genau meinen Sie mit „Kohlenstoff in der Kreislaufwirtschaft“?
Wir brauchen neue Begrifflichkeiten für Kohlenstoff, um drei Kategorien zu benennen. Zum einen gibt es lebenden Kohlenstoff, der in biologischen Kreisläufen zirkuliert und Nahrung, Wälder und Böden versorgt, also positiven Kohlenstoff. Dann wäre da langlebiger Kohlenstoff, der in stabilen Feststoffen wie Kohle oder Kalkstein oder in wiederverwertbaren Polymeren eingeschlossen ist, die in technischen Kreisläufen zirkulieren; das ist neutraler Kohlenstoff. Und schließlich gibt es noch flüchtigen Kohlenstoff, etwa das bei Verbrennung fossiler Brennstoffe, Abholzung, industrieller Landwirtschaft und einer starken Stadtentwicklung freigesetzte CO2, das im Wesentlichen als negativer Kohlenstoff bezeichnet werden kann. Wir müssen Instrumente entwickeln, um sowohl lebenden als auch langlebigen Kohlenstoff in Umlauf zu halten. Die synthetische Chemie ist zum Beispiel entscheidend, um aus Kohlenwasserstoffen und Kunststoffen langlebige Polymere zu gewinnen, die recycelt werden, damit der Kohlenstoff nicht abhandenkommt. So vermeiden wir, dass Plastikflaschen im Meer landen. Außerdem ist das ein gutes Beispiel für die Einbeziehung von langlebigem Kohlenstoff in die Kreislaufwirtschaft.
Wie könnte die Abfallwirtschaft in der Stadt der Zukunft aussehen?
Die Stadt der Zukunft kennt keinen Abfall, sie kennt nur Nährstoffmanagement. Wenn etwa Lebensmittelabfälle als biologisches Nährstoffmanagement betrachtet werden, wird es kompostierbare Lebensmittelbehälter geben und man wird Verbindungen von Materialien vermeiden, die nicht getrennt oder rückgewonnen werden können. Es wird ein mechanisches und ein chemisches Recycling von Polymeren geben. Irgendwann werden Städte Recycling auf Monomer-Ebene praktizieren. Alles hat einen Wert und lässt sich prinzipiell wiederverwenden.