Blick in ein Labor einer Krankenstation. Eine Krankenschwester sitzt vor dem Computer und eine weitere Krankenschwester läuft gerade am Zimmer vorbei.
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Verschwörungstheorien nicht einfach abtun

Porträt von Thaiane Oliveira
Thaiane Oliveira
ist Professorin des Absolventenprogramms für Kommunikation der Universidade ­Federal ­Fluminense, einer staatlichen Universität in Brasilien. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die wissenschafts­bezogene Desinformation.

Creating Chemistry: Was sind
Verschwörungstheorien? 

PROFESSORIN THAIANE OLIVERA: Dabei handelt es sich um den Versuch, komplexe gesellschaftliche Phänomene durch Erzählungen zu erklären. Verschwörungstheorien kritisieren Gesellschaft und Autoritäten und prangern vermeintliche Missstände in der Gesellschaft an. Früher fand man sie am Rande der Gesellschaft, heute können sie auch von führenden Politikern und aus der breiten Öffentlichkeit kommen.

Warum akzeptieren Menschen Verschwörungstheorien?

Frustration und Verbitterung sind der Schlüssel. Verschwörungstheoretiker sind in der Regel Menschen, die das Gefühl haben, dass sie nicht gehört und ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Sie glauben, manche Autoritäten sind korrupt und eigennützig geworden, und möchten dieses System bekämpfen. Verschwörungstheoretiker sind ansonsten jedoch weder eine homogene Gruppe, noch greifen sie jede Idee auf, die ihnen unterkommt. Der Austausch mit Gleichgesinnten bestärkt sie in ihren Überzeugungen, aber sie verschließen sich neuen Informationen gegenüber nicht grundsätzlich. 

Illustration von einer Ansammlung von Menschen, über denen Like-Symbole schweben. Eine Person steht auf einem Podest. Ein großer Schatten macht sich um diese Person breit.

Welche Rolle spielen soziale Netzwerke bei der Verbreitung?

Digitale soziale Netzwerke bieten einen Anlaufpunkt für abweichende Stimmen aus der Gesellschaft, die die gleichen Gefühle zu komplexen gesellschaftlichen Phänomenen teilen. Die Regeln der Plattformen, die sich auf Meinungsfreiheit und per Algorithmus vermittelte, personalisierte Inhalte beziehen, haben zu ihrer Verbreitung beigetragen.

Wie haben sich Verschwörungs­theorien verbreitet, als es noch keine sozialen Netzwerke gab?

Es gab immer einen Weg. Die Menschen haben sich gesellschaftlich organisiert, mit Nachbarn, Freunden und Familienmitgliedern über Gefühle gesprochen und Erklärungen entwickelt. Manchmal war es ein Scherz unter Kollegen. In anderen Fällen aber brauchten sogenannte Verschwörungstheoretiker oder Verschwörer Treffen im Untergrund, um autoritäre Regierungen zu stürzen. Deshalb können wir Verschwörungstheorien nicht einfach abtun, denn manchmal bringen sie gesellschaftliche Probleme ans Licht und decken Themen auf, die über eine sinnlose Erklärung hinausgehen.

Welche Rolle spielen sie im Umfeld der Politik?

Für die Mächtigen kann es verlockend sein, Kritik zu unterdrücken – insbe­sondere in Zeiten, in denen das Vertrauen in Institutionen wie die Wissenschaft und die Medien schwindet, die das demokratische System eigentlich stützen sollten. Sie nutzen diese Zweifel und Ressentiments aus, um sich selbst als notwendige politische Veränderung zum Wohle der Gesellschaft darzustellen. Wenn sie dann an der Macht sind, beschuldigen sie politische Gegner, Verschwörungstheoretiker zu sein oder Lügen zu verbreiten. Zudem erleben wir gerade einen beispiellosen technologischen Wandel. Man denke nur an Biotechnologie, Künstliche Intelligenz oder Gesichtserkennung. Die damit verbundenen Ängste sind ein fruchtbarer Boden für Verschwörungstheorien, die für undemokratische Zwecke ausgenutzt werden könnten. Diese Gefahr sollten wir nicht ignorieren.

Wie können wir uns schützen?

Streit, Infragestellen und Skepsis sind Teil der Demokratie. Wir brauchen kritische Stimmen und müssen hinnehmen, dass diese in einigen Fällen falsch liegen. Die meisten Verschwörungstheoretiker argumentieren, dass es den Institutionen an Transparenz mangelt. Einrichtungen, die von ihnen angegriffen werden, sollten dies als Chance wahrnehmen, ihre eigene Verantwortung zu erkennen. Bürgerbeteiligung, offene Debatten und Diskussionen sind der Schlüssel, um öffentliches Vertrauen wiederherzustellen.

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