So gut wie jedes Produkt besteht aus verschiedenen, untrennbar verbundenen Bausteinen. Wenn wir diese Komponenten wie Legosteine voneinander trennen und neu zusammensetzen könnten, wären wir einen bedeutenden Schritt weiter in Richtung Kreislaufwirtschaft. Das ist das Arbeitsgebiet, in dem die Expertin Anna Maria Cristadoro mit ihrem Team forscht. Sie will ein besseres Recycling von Plastikmüll ermöglichen und ist fest überzeugt, dass wir mit Chemie viele unserer aktuellen Herausforderungen lösen können.
Woran arbeitest du gerade im Labor mit deinem Team?
Ich forsche an Polyurethanen, das sind sehr vielseitige Kunststoffe oder Kunstharze, aus denen zum Beispiel Matratzen, Schuhsohlen oder Klebstoffe hergestellt werden. Mit Klebstoffen sind wir alle täglich konfrontiert, denn letztendlich besteht fast alles aus unterschiedlichen Materialien, die miteinander verklebt sind – sei es bei Verpackungen im Supermarkt, im Auto oder in unseren Schuhen. Das hat einen Nachteil: Sind die Klebstoffe einmal ausgehärtet, lassen sich die Verbindungen kaum noch lösen und es ist unmöglich, das Material ohne Rückstände zu recyceln. Wir arbeiten an einem Lösungsansatz, der sich „Debonding-on-demand“ nennt – also eine Art cleverer Klebstoff, der nach Bedarf aufhört zu kleben. So können die getrennten Komponenten im richtigen Recyclingstrom landen und wiederverwertet werden.
Wie funktioniert dieses „Entkleben auf Knopfdruck“?
In unserer Gesellschaft werden verschiedene Materialien meist so fest miteinander verbunden, dass die Produkte für immer halten. Als Verbraucher möchten wir Produkte, die beständig sind und nie kaputt geben. Das sollen die neuen Materialien, während wir sie benutzen auch, und erst im Recycling-Prozess „debonden“, sich also in ihre einzelnen Bestandteile aufteilen. Dazu bauen wir in neue Klebstoffe einen Trigger ein, der spürt, wann das Material in der Recycling-Anlage ist. Dieser Trigger nutzt zum Beispiel die Temperatur, eine chemische Reaktion, oder beides als Anhaltspunkt und löst dann die Klebwirkung auf. Eine mögliche Anwendung sind Schuhe. Gemeinsam mit Designern und anderen Partnern forschen wir an Lösungen, einzelne Elemente wie Sohle, Kappe und Textilien voneinander zu trennen.
Was können wir als Verbraucher tun?
Der beste „Debonding-on-demand“-Klebstoff bringt nichts, wenn der Turnschuh am Ende im Wald landet. Jeder von uns sollte dazu beitragen, dass wir unseren Müll als Quelle für Neues nutzen können, indem wir ihn richtig trennen und entsorgen. Die Chemie ermöglicht dann den weiteren Prozess. Wir arbeiten in der Forschung zusammen mit Universitäten, unseren Kunden und anderen Partnern mit Hochdruck an Lösungen für eine Kreislaufwirtschaft mit besserem Recycling. Zum Beispiel, indem wir Materialien vom Molekül an so designen, dass sie leicht recycelt werden können oder wir Recyclingprozesse so gestalten, dass sie möglichst wenig Energie verbrauchen. Um Nachhaltigkeit richtig anzugehen, müssen wir definitiv an mehreren Stellen ansetzen und verschiedene Expertisen kombinieren.
Hattest du schon mal einen echten Glücksmoment im Labor?
Als gebürtige Sizilianerin hat mich mein Weg nach der Promotion über bioabbaubare Polymergruppen in Italien zu BASF nach Ludwigshafen und von dort in die USA und jetzt nach Lemförde, in den Norden von Deutschland, geführt. Einer der schönsten Momente war für mich, als ich in Ludwigshafen ein flüssiges Polymeradditiv entwickelt habe, das dann in den USA in einer konkreten Formulierung angewendet wurde. Es handelte sich um ein bioabbaubares Dispergiermittel für Agrarprodukte. Meine Aufgabe in den USA war dann, die Produktion dieses neuen Produkts bis zum Kunden zu begleiten. So hatte ich das große Glück, beim ganzen Prozess dabei zu sein und zu sehen, wie das Endprodukt dann tatsächlich die gewünschten Eigenschaften besitzt, an denen ich im Labor mit der flüssigen Lösung geforscht habe. Da habe ich gespürt, dass ich genau richtig bin in dem, was ich mache.
Du kennst den gesamten Prozess von der ersten Idee bis zum neuen Produkt. Was ist deine wichtigste Erkenntnis?
Ich denke, man muss sich darüber im Klaren sein, dass viele Ideen und Versuche nicht funktionieren werden. Davon darf man sich nicht entmutigen lassen. Denn jedes Ergebnis, auch ein negatives, bringt uns ein Stück näher zu einer Lösung. Und die beste Idee ist immer eine von sehr vielen. Wir Forscher müssen herausfinden, was geht und was nicht. Dafür müssen wir mutig sein und auch Wege einschlagen, die möglicherweise nicht zum Ziel führen. Wenn eine Idee anfängt zu zünden und funktioniert und ich nach und nach immer mehr Leute dafür begeistern kann, motiviert mich das sehr. Und nur mit Motivation und gemeinsam als Team können wir erfolgreich sein.
Wie kam es dazu, dass du Forscherin werden wolltest?
Ich habe schon als kleines Kind in der Küche meiner Mama alles Mögliche gemischt und war fasziniert, wie die Stoffe reagieren und zum Beispiel ihre Farbe ändern. Später ist mir klar geworden, welche Power Chemie hat und welche positiven Veränderungen sie in unserem Alltag und in unserer Welt ermöglicht. Damit stand für mich fest, dass ich Chemie machen möchte – mit Bezug zur Materialwissenschaft. Es erfüllt mich, das Ergebnis der chemischen Veränderungen auch in der Hand halten zu können. Nach meinem Universitätsabschluss in Italien und meiner Doktorarbeit in Mainz habe ich 2008 in der Forschung bei BASF angefangen und seitdem dort an verschiedenen Standorten gearbeitet. Die Chemiebranche ist mein absoluter Wohlfühlort. Hier kann ich dazu beitragen, Dinge zu verbessern und Neues zu schaffen.
Macht sich dein Forschergeist und deine Neugierde auch in deinem Privatleben bemerkbar?
In den Momenten, in denen ich runterkomme und reflektiere, zum Beispiel wenn ich mit meinen Zwillingen spiele oder backe, kommen mir häufig die besten Ideen. Ich bin sehr mit meiner Arbeit verbunden und wäre ohne den Spaß, den mir die Forschung macht, nicht da, wo ich heute bin. Das übertrage ich auch ins Private, denn ich kann nicht anders, als meine Begeisterung für Chemie weitzugeben. Das mache ich zum Beispiel auch im Ferienprogramm für die Kinder meiner Kolleginnen und Kollegen. Kinder sehen oft mehr Möglichkeiten als Erwachsene, und ihre Offenheit und Neugierde, mit denen sie Informationen aufsaugen, zeigt mir, dass alles möglich ist.
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