Die Öl- und Gaslieferungen aus Russland boten Europa jahrzehntelang große Vorteile. Sie bildeten die Basis für die Industrieproduktion und versorgten viele Millionen privater Haushalte mit Energie. Als Unternehmen der chemischen Industrie nutzt BASF Gas auf zweifache Weise: zum einen für die Energieerzeugung, zum anderen als Rohstoff für Hunderte von Chemieprodukten, die BASF in fast alle produzierenden Industrien liefert.
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ist die Abhängigkeit Deutschlands und Europas von russischem Erdgas ein Thema und es stellen sich folgende Fragen:
Wie kam es zu der Abhängigkeit von russischem Erdgas?
Welche politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen haben dazu geführt?
Wie entstand die Zusammenarbeit von BASF und Gazprom?
Und was tut BASF, um fossile Brennstoffe Schritt für Schritt zu ersetzen?
Hier bekommen Sie Antworten und Einblicke in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Die Geschichte der deutsch-russischen Gaspartnerschaft reicht weit zurück bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts und hinein in die heiße Phase des Kalten Kriegs. Bis 1973 stammte das in der Bundesrepublik Deutschland verbrauchte Erdgas überwiegend aus den Niederlanden und knapp zur Hälfte aus heimischer Förderung in Deutschland. Doch schnell wurde klar, dass die westeuropäischen Fördermengen in Zukunft nicht mehr ausreichen würden. Und damals galt: Europa braucht Energie – und Russland Industriegüter und Technologie.
2700 Kilometer lange Pipeline durch Russland und die Ukraine
Wenige Jahre zuvor war unweit der kasachischen Grenze in Orenburg eine der größten damals bekannten Erdgaslagerstätten entdeckt worden. Die Sowjetunion fasste den Plan, eine mehr als 2700 Kilometer lange Pipeline quer durch Russland und die Ukraine zu bauen, um vor allem die osteuropäischen Bruderstaaten mit Gas zu versorgen. Im Gegenzug verpflichteten sich die Abnehmer, Osteuropa beim Bau der Pipeline zu helfen. So wurden mehr als 500 Kilometer der Pipeline von der DDR gebaut. Doch Röhren und Stahl waren damals im Ostblock knapp. Anfang der siebziger Jahre kam es dann zu einem Tauschgeschäft: Die westdeutschen Unternehmen Mannesmann und Thyssen lieferten Röhren, im Gegenzug erhielt die Ruhrgas AG russisches Gas. In den folgenden Jahren verdoppelte sich der Anteil der Importe aus Russland und stieg 1989 auf 30 Prozent des Verbrauchs in der Budesrepublik Deutschland. Der Anteil der inländischen Erzeugung verringerte sich parallel von knapp der Hälfte des Verbrauchs auf etwa ein Fünftel.
Die weltweit größten Erdgasvorkommen sind in Pipeline-Distanz zu Europa.
Anfang der 90er Jahre folgte eine Phase der einschneidendsten politischen Umwälzungen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Unter Michail Gorbatschow begann sich die Sowjetunion zu öffnen. In Polen fanden demokratische Wahlen statt. Eine friedliche Revolution brachte die Berliner Mauer zu Fall und Deutschland wurde wiedervereinigt. 1991 löste sich schließlich die Sowjetunion selbst auf. Der Kalte Krieg war beendet – eine Zeitenwende. Sie führte zu einer politischen Aufbruchstimmung in Europa und vieles schien möglich. Es gab Hoffnung auf eine neue, ganz andere Zukunft mit Russland. Russland selbst sprach vom „gemeinsamen Haus Europa“. Und Deutschland war Russland dankbar, denn ohne die Zustimmung Russlands wäre die Wiedervereinigung nicht möglich gewesen.
1990: Zusammenarbeit von Wintershall mit Gazprom beginnt vor dem Hintergrund der Aufbruchstimmung in Europa
In diese Zeit fällt der Beginn der Zusammenarbeit von BASF mit Gazprom. Schon vor dem Zusammenbruch der DDR hatte BASF den Bau einer eigenen Pipeline von Ludwigshafen bis nach Emden erwogen, um sich künftig mit Gas zu wettbewerbsfähigen Preisen aus Norwegen versorgen zu können. Doch dieses Projekt zur Erdgaslieferung kam nie zustande. 1990 schloss die BASF-Tochter Wintershall dann mit dem russischen Unternehmen Gazprom eine langfristige Vereinbarung über die Vermarktung von russischem Erdgas in Deutschland ab. Diese umfasste auch Pipeline- und Infrastrukturprojekte in Deutschland und Gemeinschaftsunternehmen zur Produktion von Gas und Öl in Russland.
Hintergrund für diesen Schritt war damals das Interesse von BASF, die Monopolstrukturen in Deutschland aufzubrechen, Gas zu wettbewerbsfähigen Preisen zu beziehen und die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Ludwigshafen im internationalen Vergleich zu stärken.
Industriekunden und private Haushalte profitieren vom Gasmarkt
Anfang der neunziger Jahre kam es zu einem harten Schlagabtausch mit der Ruhrgas AG, insbesondere über die Versorgung Ostdeutschlands. Zusammen mit Gazprom investierte BASF über Wintershall in den Aufbau eines alternativen gemeinsamen Geschäftsmodells, das von der Produktion über den Transport, die Speicherung bis hin zum Gashandel alles abdecken sollte. Ab Mitte der neunziger Jahre entstand so in Zusammenarbeit mit Gazprom in Europa ein paralleles Pipelinenetz mit einer Länge von mehr als 6.000 Kilometern. Gazprom investierte als Joint-Venture-Partner mit 35 Prozent Anteil gemeinsam mit Wintershall in den Ausbau der deutschen Gasinfrastruktur. Auch die drei heute so wichtigen Speicher in Rehden, Jemgum und Haidach wurden zusammen mit Gazprom erschlossen. Erst durch diese gemeinsam mit Gazprom getätigten Investitionen gelang es, das Monopol der Ruhrgas AG aufzubrechen und wirklichen Gas-zu-Gas-Wettbewerb zu etablieren. In der Folge sanken die Preise, vor allem in Deutschland. Industriekunden und private Haushalte profitierten davon gleichermaßen.
In Deutschland nahm der Verbrauch von Erdgas durch die Lieferung russischen Gases bis Ende der siebziger Jahre sprunghaft zu. In den darauffolgenden 40 Jahren ist er auf heute rund 90 Milliarden Kubikmeter pro Jahr gestiegen. Mit dem steigenden Erdgasverbrauch auch in anderen Ländern der Europäischen Union kamen ab Mitte der neunziger Jahre die ersten Ideen für neue Transportrouten und Pipelines auf.
Die Länge der Leitung der Nord Stream-Gaspipeline beträgt mehr als 1200 Kilometer.
Nachdem Deutschland 2002 mit der Novelle des Atomgesetzes beschlossen hatte, aus der Kernenergie auszusteigen, kam 2020 noch der beschleunigte Kohleausstieg dazu. Der im Gegenzug notwendige Ausbau der Erneuerbaren Energien sowie der Übertragungsnetze schritt jedoch nicht voran.
Es wurde daher der Bau etlicher neuer Gaskraftwerke geplant – als Brückentechnologie in das Zeitalter der regenerativen Energien. Denn die Versorgung mit Erneuerbaren Energien ohne Speichermöglichkeit ist noch zu volatil. Für die Brückentechnologien in Europa wird Erdgas benötigt, und als Alternative zu russischem Erdgas kommt dafür in erster Linie Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) in Frage. Dieses ist teurer und wird zu einem guten Teil durch Fracking in den USA gefördert – eine Praktik, die eine breite Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland ablehnt. Auch das erklärt, warum Europa und Deutschland lange auf russisches Erdgas gesetzt hat.
Vor zehn Jahren schätzte die Europäische Kommission den Bedarf an Erdgas für das Jahr 2030 noch auf bis zu 575 Milliarden Kubikmeter. Dem-gegenüber stand eine sinkende Eigenproduktion in Europa. Aus heutiger Sicht dürften die Schätzungen von damals zu hoch gegriffen sein: Im Jahr 2021 belief sich der Erdgasverbrauch der Europäischen Union auf rund 393 Milliarden Kubikmeter.
Bau neuer Pipelines soll steigenden Gasverbrauch in Europa decken
Der steigende Gasverbrauch in Europa führte nach dem Jahr 2000 zum Bau neuer Pipelines Richtung Europa. Dazu gehörte auch der Bau von Nord Stream 1 durch Gazprom als Mehrheitseigner, zusammen mit europäischen Firmen als Minderheitseigentümern, zu denen auch Wintershall gehörte. 2011 ging Nord Stream 1 mit einer Transportkapazität von 55 Milliarden Kubikmetern pro Jahr in Betrieb.
2013 begannen die Planungen für eine zweite Nord-Stream-Pipeline, die von Osteuropa und den USA kritisiert wurde. Wintershall Dea war einer von fünf Darlehensgebern für das Pipelineprojekt Nord Stream 2. 2021 fertiggestellt, wurde das Genehmigungsverfahren von Nord Stream 2 angesichts der Vorbereitung des russischen Überfalls auf die Ukraine 2022 gestoppt und die Projektgesellschaft sanktioniert.
Alternative Pipeline-Projekte scheiterten, wie die „South Stream" oder die sogenannte Nabucco-Pipeline, die Südeuropa über die Türkei mit Gasquellen in Aserbaidschan verbinden sollte. Realisiert wurde die Transadriatische Pipeline, die Aserbeidschanisches Gas über Griechenland und Albanien nach Italien leitet.
Erdgasförderung bei -65 Grad im westsibischen Urengoi-Feld.
2015 tauschte Wintershall Teile der gemeinsam errichteten deutschen Gasinfrastruktur inklusive einer Beteiligung an Gasspeichern gegen eine Beteiligung an Gasfeldern in Russland mit Gazprom. Dieser Tausch war für BASF eine rein ökonomische Entscheidung und hat sich nicht negativ auf die Versorgungssicherheit in Deutschland ausgewirkt. Speicherkapazität konnte vor und nach der Veräußerung von Dritten gebucht werden. Auch die heutige Situation, in der die Speicher einen wichtigen Beitrag zur Versorgung in den Wintermonaten leisten werden und die Kapazität letztlich durch die Marktgebietsverantwortlichen genutzt wird, belegt dies.
Vorausgegangen waren dieser Entscheidung mehrere einschneidende politische Entwicklungen in Brüssel, die den Pipeline- und Speicherbetrieb in Deutschland und Europa für Industrieunternehmen immer unattraktiver gemacht haben: Infolge der EU-Gesetze mussten integrierte Energieversorgungsunternehmen in Produktion, Handel, Speicherung und Transport aufgespalten werden. 2003 legte eine EU-Richtlinie den diskriminierungsfreien Zugang zu Erdgasnetzen für alle Marktteilnehmer fest. Tarife werden seit 2009 von den Regulierungsbehörden kontrolliert. In der Folge verloren die Erdgasnetze ihren strategischen Wert und brachten für Industrieunternehmen keine attraktive Rendite mehr. Eine weitere Verschärfung der Regulierung erfolgte 2009 durch die vollständige Entflechtung: das sogenannte „Unbundling“ der Übertragungs- und Fernleitungsnetze für Strom und Gas von den Bereichen Erzeugung, Beschaffung und Vertrieb der Energieversorger.
Wintershall setzt neuen Fokus aufgrund der EU-Regulierungen
Die unternehmerische Antwort von BASF darauf war, den Fokus von Wintershall auf die Wertschöpfung mit der Exploration und Produktion von Öl und Gas zu lenken. Die Überlegungen zum Tausch der Infrastruktur-Anteile haben bereits 2011, also vor der Krim-Annexion 2014, begonnen. Und auch die Politik hatte keine Einwände gegen den Tausch. In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage im Bundestag hieß es 2015 dazu: „Der Asset-Tausch hat keinen Einfluss auf die Ziele der EU. Die Versorgungssicherheit und die Diversifizierung der Bezugsquellen von Erdgas werden durch den mit dem Asset-Tausch bewirkten Eigentumswechsel nicht beeinträchtigt.“
Eine Prüfung der Notwendigkeit einer strategischen Gasreserve durch das Bundeswirtschaftsministerium ergab 2015, dass die Versorgungssicherheit in Deutschland hoch sei. Die Einlagerung einer Gasreserve nach dem Vorbild von Öl, die laut Gesetz für 90 Tage reichen muss, wäre für Gas sowohl vor als auch nach dem Tausch der Speicher mit Gazprom möglich gewesen. Die Kosten von rund 1,6 Milliarden Euro jährlich wollte der Staat aber nicht tragen.
An Plänen und Ideen, wie sich Deutschland schnellstmöglich aus der Umklammerung Russlands befreien und sich im Energiebereich neu aufstellen und unabhängig werden kann, wird mit Hochdruck gearbeitet. Dazu wird BASF als einer der größten Gasverbraucher ihren Beitrag leisten.
Bauarbeiten für den Offshore-Windpark Hollandse Kust Zuid in der Nordsee.
Unabhängig von geopolitischen Entwicklungen hat BASFvor Langem damit begonnen, sich von fossilen Energieträgern zu lösen. BASF wird in den kommenden Jahren ihren Gasverbrauch Schritt für Schritt reduzieren. Vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels hat sich das Unternehmen das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 die Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Jahr 2018 um 25 Prozent senken. Bis 2050 will BASF Netto-Null-Emissionen erreichen.
Um diese Klimaziele zu erreichen, will BASF weg von der Energieerzeugung mit Kohle, Öl und Erdgas. Dafür werden riesige Mengen an Erneuerbaren Energien benötigt. Doch ein solcher Umbau geht im industriellen Maßstab nicht über Nacht.
Erneuerbare Energien nehmen Schlüsselrolle ein: BASF baut mit Vattenfall größten Offshore-Windpark der Welt
Als Partner von Vattenfall baut BASF in der Nordsee vor den Niederlanden einen Offshore-Windpark mit einer Leistung von 1,5 Gigawatt. Er soll 2023 ans Netz gehen und ist dann der größte Offshore-Windpark der Welt. Mit Energieversorgern wie Engie und Ørsted hat BASF Lieferverträge im zweistelligen Terrawattbereich mit Laufzeiten von 25 Jahren abgeschlossen. Mit RWE soll zusätzlich ein Offshore-Windpark in der deutschen Nordsee mit einer Leistung von 2 Gigawatt realisiert werden. Um in Europa von der Energieerzeugung aus Erdgas wegzukommen, wird BASF allerdings noch viele Windparks mehr brauchen. Dazu müssen die Ausbaupläne in Deutschland und der EU deutlich beschleunigt und erweitert werden. Das ist eine große Herausforderung, die eine Überarbeitung der Planungs- und Genehmigungsprozesse erfordert.
BASF forscht gleichzeitig an der Entwicklung neuer CO2-freier Verfahren für die Herstellung von Chemikalien. Dafür baut BASF beispielsweise in Ludwigshafen Pilotanlagen und testet neue Technologien im industriellen Maßstab, um sie dann schnell weltweit ausrollen zu können. Elektrische Steamcracker, Wärmepumpen und klimaneutrale Verfahren zur Wasserstoffherstellung sind nur einige der Technologien und Innovationen für die Transformation zur Klimaneutralität.
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