Geschichte

Die Explosion von 1943

Am 29. Juli 1943 erschüttert eine Explosion das Gelände des damaligen I.G. Farbenwerkes in Ludwigshafen. 64 Menschen sterben, hunderte werden verletzt. Dennoch ist über das Unglück wenig überliefert. Staatliche Geheimhaltung hüllt es im Zweiten Weltkrieg in Schweigen. Auch die folgenden Luftangriffe auf Ludwigshafen lassen das Explosionsunglück in der Erinnerung in den Hintergrund treten. Das erschwert heute die Suche nach Informationen über die Ursachen der Explosion und über ihre Opfer. Auch über die Zwangsarbeitenden unter ihnen war jahrzehntelang wenig bekannt.

Aluminiumchlorid-Fabrik vor und nach der Explosion_1943

Blick in das Werk der damaligen I.G. Farben vor und nach der Explosion. Das Ausmaß der Zerstörung durch das Unglück 1943 lässt sich zum Beispiel anhand des Gebäudes der Aluminiumchloridfabrik nachvollziehen.

Unmittelbare Eindrücke
 

Die mit der Aufklärung des Unglücks beauftragten Gutachter besichtigen 1943 nicht nur den Unglücksort, sondern befragen auch Augenzeugen. Am 2. August 1943 erfolgt ein Aufruf an die Beschäftigten aller Abteilungen und Betriebe der I.G. Farben in Ludwigshafen, sich mit relevanten Beobachtungen zu melden. In der Rückschau lassen die archivierten Berichte der Augenzeugen ein plastisches Bild des Hergangs und der Folgen der Explosion entstehen.

Schauplatz Rheinfeldstraße

Augenzeuge Dr. Ing. Otto Burian, Hochdruckversuche

„Eben in meiner Wohnung angekommen, hörte ich eine schlagartige Detonation und daraufhin ein Zischen. (…) Vom Balkon aus sah ich über der Fabrik 2 Rauchsäulen in der Gegend unserer Anlagen stehen, die sich bis zu einer Höhe von etwa 200 m entwickelten. Ich (...) lief in die Fabrik. Auf dem Wege dorthin traf ich an der Pestalozzischule einen mir bekannten Herrn (…). Ich bat ihn um Überlassung seines Werksrades und fuhr durch die Rheinfeldstrasse in die Fabrik."

Schauplatz Gebäude Lu 576

Augenzeuge Obering. Ludwig Raichle, Hochdruckabteilung

„Ich wurde von Mauerteilen und Glassplittern getroffen. (…) Ich sprang auf einen Schreibtisch und wollte zum Fenster hinaus, wurde jedoch kurz zurückgehalten, da gerade Flammen aus dem Keller schlugen. [Ich ging] trotzdem an dieser Stelle durch das Fenster an dem Baugerüst hinunter ins Freie. (…) Auf der Straße vor den Rohöltranks lag ein Mann, dem Meister Klein eine stark blutende Wunde zuhielt. Da wir alle stark bluteten gingen wir weiter nach der Sanitätsstelle (…).“

Schauplatz Gebäude Lu 558

Augenzeuge Obering. Ludwig Raichle, Hochdruckabteilung

„Einer der Sanitäter überzeugte mich (…) durch grossen Stimmaufwand, dass ich hier zu bleiben habe und erst verbunden werden müsse. (…) Danach ging ich wieder zum Bau 558 (…). Ich [schaute] mir die Schäden an dem Maschinenhaus der DHD-Kammer an und sagte den Leuten, sobald sie Zeit haben, sollen sie anfangen aufzuräumen, damit man bald wieder anfahren könne."

Schauplatz Gebäude Lu 582

Augenzeuge Dr. Karl Fehrenbach, Hochdruckversuche

„[Ich entdeckte] dann den Brand von 582 und erfuhr von Dr. Schiffmann, dass dort alle Insassen das Labor verlassen konnten. Ich sah, dass der ganze Bau hell brannte und dass von der Nordseite auch bereits mit Stahlrohren gelöscht wurde. Die Gegend, in der unser eigener Laborstand war, brannte ebenfalls, sodass es für mich keinen Sinn hatte, dorthin zu gehen.“

Schauplatz Gebäude  Lu 134

Augenzeuge Dr. Georg Niemann, Leiter Diol-Abteilung

„Wir beobachteten in Richtung Aluminiumchloridfabrik vom Boden aufsteigende starke Nebelbildung, gleichzeitig war ein starkes Zischen zu hören, das sich anhörte, als ob aus einer Hochdruckleitung Gas entströmt. Etwa 10 Sekunden später erfolgte eine Detonation, die uns in weissen Rauch hüllte und uns zu Boden warf. Im Bau 134 gab es viele Verwundete, die zum Teil blutend in den Keller stürzten. (…) Auf die Detonation folgten weitere jedoch weniger heftige Explosionen, und noch eine halbe bis eine Stunde später stiegen gewaltige Feuersäulen auf, offenbar dadurch, dass Tanks und Fässer mit brennbarem Inhalt in Brand gerieten und hochflogen."

Schauplatz Gebäude Lu 10

Augenzeuge Dr. Fritz Müller, Leiter Werkluftschutz

"Am 29.7.1943 war es ungewöhnlich warm, man könnte sogar sagen, es war drückend heiß. (…) Als ich dann zu Fuß bis beinahe zur WLL in Bau 10 gekommen war, kamen plötzlich in an sich bekannter Weise zahlreiche Fensterscheiben und Rahmen zersplittert von oben, ein gewaltiges Getöse erhob sich und der glühende Sommerhimmel verfinsterte sich. Ein Fliegerangriff konnte nicht die Ursache sein, denn bis vor kurzem war die Luft noch rein gewesen, keine Einflüge gemeldet und bei dem klaren Wetter auch keine Flugzeuge zu sehen. Also mußte es sich um eine Explosion handeln, Die Uhr zeigte 17 Uhr 53.“

Schauplatz Gebäude Lu 392

Augenzeuge Paul Eitelmann, Schichtführer Butandiol-Destillation

"Ich war im Keller 392 und pumpte Butadien. Da hörte ich plötzlich einen Knall weiter vom Bau entfernt, dann gab es einen zweiten Knall und jetzt erst sah ich den Kesselwagen brennen. Dann ist der Bau zusammengestürzt und ich lag unter einer glühenden Platte. Wie ich herausgekommen bin, weiß ich nicht mehr."

Schauplatz Finkenweg 13

Augenzeuge Dr. Karl Fehrenbach, Hochdruckversuche

„Im Augenblick der Explosion habe ich gerade die Wohnung meiner Mutter im Finkenweg 13 (verlassen) und meine Mutter zur sofortigen Flucht in den Keller veranlasst, da ich Bombenfall vermutete. Auf der Flucht dorthin war das Treppenhausfenster zerschlagen und durch dieses sah ich einen hohen schwarzen Rauchpilz in Richtung Hochdruck(-Anlagen) stehen. Ich rief meiner Mutter zu, sie könne bleiben, es müsse etwas in der Fabrik passiert sein, rannte an mein Rad und fuhr so schnell als möglich in die Fabrik.“

Kesselwagen „Mainz 514 442“
 

Der 29. Juli 1943 ist ein heißer Tag in Ludwigshafen. Im Süden des Werkes der damaligen I.G. Farben steht ein Rangierzug mit mehreren Kessel- und Kohlewagen in der Hitze. An fünfter Stelle des Zuges befindet sich der Kesselwagen „Mainz 514 442“. Er wurde vier Tage zuvor mit einem verflüssigten Butadien-Butylen-Gemisch befüllt. Um mutmaßlich 17.53 Uhr erschüttert eine schwere Explosion das Werk, gefolgt von einem Großbrand.

Lageplan Explosion_1943

Der Lageplan der Chemisch-Technischen Reichsanstalt, die an der Unglücks-Untersuchung beteiligt war, zeigt den Rangierzug, von dem die Explosion ausging. Als ihr Ursprung gilt der fünfte Kesselwagen namens „Mainz 514 442“ (siehe Markierung, Mitte). (Anm. d. Redaktion: Der abgebildete Plan gibt die Himmelsrichtungen nicht richtig wieder.)

Zentrum der Explosion_1943

Die Zerstörung immens. Am stärksten betroffen ist der Bereich des Werks Ludwigshafen, der damals zwischen der Bunastraße im Norden, der Styrolstraße im Süden, der Anilinfabrikstraße im Osten und der Diaminstraße im Westen liegt.

Der Schaden ist gewaltig: Zahlreiche Gebäude, Produktionseinrichtungen und Lagervorräte liegen in Schutt und Asche. 64 Menschen verlieren ihr Leben, 526 weitere werden verletzt. In einer Stellungnahme der Chemisch-Technischen Reichsanstalt, eine der Vorläufereinrichtungen der heutigen Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, im Oktober 1943 heißt es: „Soweit die Literatur bekannt ist, ist das das schwerste Explosionsunglück, bei dem ein mit einem verflüssigten Gas gefüllter Kesselwagen die Ursache gewesen ist.“

Sachverständige und Sabotage

Das Gutachten, das die Chemisch-Technische Reichsanstalt am 14. Oktober 1943 vorlegt, stellt einen Zusammenhang zwischen den hohen Tagestemperaturen und einer mutmaßlichen Überfüllung des Kesselwagens „Mainz 514 442“ fest. Darin stützen beispielsweise Fotografien vom Unglücksort die These, dass dieser als Ausgangspunkt der Explosion gelten muss. Der aufgeplatzte Kesselwagen ist hier u.a. in einem Auszug des Gutachtens dokumentiert und auf dem Werksgelände verortet. 

Auszug_Bericht Chemisch-Technische Reichsanstalt

Kurz nach der Explosion beauftragt die Werksleitung interne und externe Sachverständige mit der Untersuchung der Ursache. Vertreter der Berufsgenossenschaft und der Chemisch-Technischen Reichsanstalt sind vor Ort. Schnell wird der Kesselwagen „Mainz 514 442“ als Ursprung des Unglücks ausgemacht – „mit größter Wahrscheinlichkeit“. Auch die Gestapo (Geheime Staatspolizei) schaltet sich ein. Sie geht vor allem dem Verdacht nach, „ein Sabotageakt“ habe die Explosion ausgelöst.

Anhaltspunkte, so zeigen die Quellen, finden sich ausschließlich für eine andere Hypothese: eine Überfüllung des Kesselwagens bei hohen Außentemperaturen. Eine eindeutige Aufklärung liefern die Gutachten allerdings nicht. Eine „lückenlose Beweisführung", so heißt es im Bericht der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie, sei nicht möglich gewesen.

„Fabrizieren um jeden Preis“

Auszug_Broschüre 1943

Buna ist ein synthetischer Kautschuk mit vielen Anwendungsgebieten. Die für die I.G. Farben geschützte Wortmarke Buna steht für die Ausgangsstoffe der Kautschuk-Synthese, Butadien und Natrium. Das erste Buna-Werk geht 1937 in Schkopau in Produktion. 

Titelblatt_Broschüre ca. 1937

Der synthetische Kautschuk ersetzt den Naturkautschuk, der aus dem Ausland importiert werden muss. Das NS-Regime subventioniert die heimische Kautschukindustrie im großen Stil, allen voran die I.G. Farben. Ziel ist es, die Eigenerzeugung zu steigern und so von Importen unabhängig zu werden.

Anzeige_Werkzeitung 1939

Im Zweiten Weltkrieg soll der Synthesekautschuk vor allem den Gummibedarf der Wehrmacht decken. Buna wird an der Front unter anderem in Form von Reifen gebraucht, entsprechend gilt seine Produktion als kriegswichtig. 

Im Kesselwagen „Mainz 514 442“ befindet sich am 29. Juli 1943 ein verflüssigtes Butadien-Butylen-Gemisch, sogenanntes Rückbutadien, für die Buna-Produktion. Im Werk Ludwigshafen ging im April 1943 die dritte Buna-Anlage der I.G. Farben in Betrieb. Die Produktion des synthetischen Kautschuks gilt als kriegswichtig. Das Werk steht unter Druck. Deshalb werden die Endstufen der Buna-Herstellung in Betrieb genommen, ohne dass die vorgelagerten Anlagenteile – wie die Destillation – gänzlich fertiggestellt sind.

Bis zur Vollendung der neuen Butadien-Destillation in Lu 166 bedeutet das: Das Butadien-Butylen-Gemisch, das bei der Polymerisation im Gebäude Lu 193 anfällt, wird in Lu 392 gereinigt. Von dort wird das destillierte Butadien erneut der Polymerisation im Bau Lu 193 zugeführt. Der damit verbundene Kesselwagenverkehr zwischen Lu 193 und Lu 392 ist eine Übergangslösung, die auch im Sommer 1943 gilt.


Direktor Dr. Wilhelm Pfannmüller, der werksintern für die Aufklärung des Unglücks verantwortlich ist, stellt in seinem Bericht vom November 1943 nicht nur dessen Hergang und mögliche Ursachen dar. Auch die zeitgenössischen Hintergründe treten zutage, indem er den akuten Druck während des Krieges schildert, große Produktionsmengen an Synthesekautschuk zu erreichen. 

"Sollte (…) die Frage einer Schuld diskutiert werden, so möge man sich bewußt sein, daß wir nicht in ruhigen Friedenszeiten leben, sondern (…) an der Front der Heimat stehen, wo es auch lebhaft zugehen kann, wie in diesem Fall, wo es hieß, Buna für die Ostfront zu fabrizieren um jeden Preis!"

Dr. Wilhelm Pfannmüller (1943)

Direktor und Leiter der Anorganischen Abteilung, Werk Ludwigshafen

Ein geduldeter Verstoß?
 

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zur Schuldfeststellung werden im November 1943 eingestellt. Der Blick in die Quellen legt nahe: Es gibt in dieser Zeit bei der Befüllung von Kesselwagen einen sowohl werkseitig als auch behördlich geduldeten Verstoß gegen die sogenannten Technischen Grundsätze der Druckgasverordnung. Denn Kessel werden nicht während, sondern nur nach der Befüllung gewogen. Eine eigentlich vorgeschriebene Gleiswaage an der Füllstation Lu 193, so wird argumentiert, existiert aufgrund von Beschaffungsengpässen im Krieg nicht.

Aus diesem Grund wird der Kesselwagen „Mainz 514 442“ nur im Anschluss an die Befüllung am 25. Juli 1943 im Rangierbahnhof gewogen, seine Wiegekarte nach der Explosion am 3. August 1943 ausgewertet. Sie offenbart: Der Kesselwagen war um 15 Prozent des damals zulässigen Gewichts überfüllt.

Überfüllung und hohe Temperaturen
 

Vielfach ist von einer „Kesselwagenexplosion“ die Rede. Aus heutiger Sicht trifft dieser Begriff für das Unglück am 29. Juli 1943 aber nicht zu. Der Kesselwagen selbst konnte nicht detoniert sein, da kein Explosionstrichter vorzufinden war. Die Schlussfolgerung: Gas- oder dampfförmige Stoffe mussten die Explosion ausgelöst haben.

Alumiumchlorid-Fabrik nach der Explosion_1943

Ausgangspunkt des Unglücks am 29. Juli 1943 ist Kesselwagen „Mainz 514 442“, hier im Bild markiert. Er wurde mutmaßlich mit einem Butadien-Gemisch überfüllt und riss durch ansteigenden Innendruck auf.

Sowohl Werksdirektor Pfannmüller als auch externe Sachverständige gehen von einer „Überfüllung“ als Unglücksursache aus, auch wenn eine „lückenlose Beweisführung" nicht möglich sei, wie es im Bericht der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie heißt. Seine Sichtweise wird auch von externen Sachverständigen geteilt. Folgender Ablauf gilt damals als plausibel: Die hohen Außentemperaturen am 29. Juli 1943 erwärmten den Kesselwagen massiv, sodass sich das geladene Butadien-Gemisch ausdehnte, den Druck im Kesselwagen ansteigen und ihn aufplatzen ließ. Das Gasgemisch trat im flüssigen Zustand aus, verdampfte im Freien, vermischte sich mit Luft und traf auf eine Zündquelle.

„Das Gaspolster im Kesselwagen war zu klein“

Dr. Vera Hoferichter, Leiterin BASF Gas Phase Explosions & Ignition Sources, ordnet aus heutiger Perspektive ein, wie es zur Gaswolken-Explosion 1943 kommen konnte. Sie ist sich sicher: Würde der Kesselwagen „Mainz 514 442“ nach aktuellen Vorgaben und Erkenntnissen bewertet, wäre er eindeutig als überfüllt einzustufen.

Eine traurige Bilanz
 

Eine eindeutige Angabe zu den Namen und der Herkunft der Verstorbenen und Verletzten ist für das Explosionsunglück von 1943 nicht überliefert. Erste Opfer-Zahlen werden in den Tagen unmittelbar nach der Explosion erhoben und während der Bergungsarbeiten fortlaufend aktualisiert, zuletzt am 31. August 1943. Die traurige Bilanz: 64 Tote und 526 Verletzte.

Die Öffentlichkeit soll in Kriegszeiten von alledem nichts erfahren. Eine staatlich auferlegte Geheimhaltung hüllt die Explosion und ihre Folgen sowie die Ursachensuche in Schweigen. Nur ein zeitgenössischer Zeitungsartikel ist bekannt, der das Unglück allerdings nicht beim Namen nennt: Wenige Tage nach der Explosion ist im „Hakenkreuzbanner“ – dem damaligen zentralen Presseorgan der NSDAP für Mannheim und die Region – zu lesen, dass während des Krieges über Unglücke aus militärstrategischen Gründen nicht berichtet werden könne. Aus heutiger Perspektive ist es ein Indiz dafür, dass 1943 in Ludwighafen und Umgebung sehr wohl über das Unglück gesprochen wurde, wenn auch nicht öffentlich.

To

Lückenhaftes Gedenken: In der Werkszeitung der I.G. Farben erscheint im Sommer 1943 in der Rubrik „Unsere Toten“ eine unvollständige Namensliste von Verstorbenen. Auffallend ist:  Es findet sich kein Hinweis auf die Todesursache. Hier genannt werden außerdem nur die Namen sogenannter „Gefolgschaftsmitglieder“, also nur von Mitarbeitenden des I.G. Farben-Werkes. „Externe“ Explosionsopfer, also Beschäftigte anderer Firmen, Kriegsgefangene und Wehrmachtssoldaten, bleiben unerwähnt. Außerdem sind hier von 13 getöteten ausländischen Gefolgschaftsmitgliedern (Zwangsarbeitende) lediglich sechs aufgeführt. Eine weitere Ungereimtheit: Der hier genannte Friedrich Schwarzkopf kam gar nicht bei der Explosion ums Leben.

Kategorisierung von Opfern


Intern werden die Todesopfer in unterschiedliche Gruppen eingeteilt: Waren sie bei der I.G. Farben oder extern beschäftigt? Waren sie deutscher oder ausländischer Staatsangehörigkeit? Es stellt sich heraus: Unter den 64 Toten sind 57 Beschäftigte der I.G. Farben, unter ihnen auch 13 ausländische Zwangsarbeitende. Zudem sind zwei Mitarbeitende externer Firmen, darunter ein Ausländer, zwei Flaksoldaten und drei ausländische Kriegsgefangene unter den getöteten Opfern. Insgesamt waren also 17 Explosionstote Zwangsarbeitende.

Trauern und (fehlendes) Gedenken
 

Die Trauerfeierlichkeiten finden auf Einladung der I.G. Farben am Montag, den 2. August 1943, um 16.00 Uhr auf dem Friesenheimer Friedhof in Ludwigshafen statt. Doch nicht alle Särge werden an diesem Tag im Freien vor der Friedhofshalle aufgebahrt. Für verstorbene Zwangsarbeitende, ausländische Zivilarbeitende und Kriegsgefangene, gilt eine diskriminierende Sonderregelung: Ihre Särge stehen nicht neben den anderen und sie werden auf einem getrennten Gräberfeld auf dem Hauptfriedhof beigesetzt.

„Man weiß, dass man nichts weiß“

Das Explosionsunglück 1943 hat nur wenige Spuren in Quellen hinterlassen, die heute zugänglich sind. Umso schwerer ist seine Rekonstruktion. Dr. Stefan Mörz, Leiter des Stadtarchivs Ludwigshafen a. Rh., spricht über ein Ereignis, das durch eine staatliche Schweigepolitik in Kriegszeiten verdeckt und schließlich im Bombenhagel der schweren Luftangriffe auf Ludwigshafen ab August 1943 überlagert wurde.

„Es gab keine finale Totenliste“

Die Toten und Verletzten der Explosion am 29. Juli 1943 bleiben im öffentlichen Raum und Gedenken lange namenlos. Dr. Susan Becker von BASF Corporate History begab sich auf eine Spurensuche durch mehrere Archive, um insbesondere endlich auch diejenigen Opfer zu identifizieren, die im Werk Ludwigshafen zur Arbeit gezwungen worden waren. Die intensive Recherche brachte neue Erkenntnisse über die durch auferlegte Geheimhaltung und schwere Luftangriffe „verschüttete“ Explosion 1943 ans Tageslicht.

1948: Überwätigende Solidarität
Die Explosion vom 28. Juli 1948 findet ein unmittelbares Echo in nationalen und internationalen Medien und löst eine überwältigende Welle der Hilfsbereitschaft aus, die Zonengrenzen überschreitet. Französische und amerikanische Soldaten bergen, retten und helfen auf dem Werksgelände, das wie die Stadt Ludwigshafen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter französischer Verwaltung steht, Seite an Seite mit BASF-Mitarbeitenden, lokalen Einsatzkräften und Freiwilligen aus der Umgebung.