19. Februar 2023
Medien

Bereit für den Wandel?

Um dem Klimawandel entgegenzutreten, bedarf es einer grundlegenden Änderung unserer Lebensweise, sagt Professorin Linda Steg. Was motiviert Menschen zu diesem Wandel?

 

Der Klimawandel zwingt uns zur Selbstreflexion und verursacht Gewissensbisse. Denn viele der alltäglichen Entscheidungen, die wir als Individuum und als Gesellschaft treffen, beeinflussen das Tempo der globalen Erwärmung. Aber selbst wenn wir die Fakten kennen, treffen wir nicht immer die besten Entscheidungen für unseren Planeten. Die niederländische Umwelt­psychologin Linda Steg argumentiert, dass der Übergang zu einer nachhaltigen Gesellschaft nur gelingen kann, wenn unsere Überzeugungen, Einstellungen und Verhaltensweisen berücksichtigt werden.

Warum brauchen wir die Umweltpsychologie, um gegen den Klimawandel anzugehen?

Weil der Klimawandel nicht nur ein technisches oder naturwissenschaftliches Problem ist, sondern auch unser Verhalten betrifft. Wie wir denken, welche Entscheidungen wir treffen, wie wir handeln – all das hat erhebliche Auswirkungen auf den Klimawandel und unsere Natur. Aber wir können die Umweltqualität auch durch politischeres Verhalten beeinflussen: indem wir protestieren, bestimmte Organisationen oder Unternehmen boykottieren oder Parteien wählen, die wahrscheinlich eine umweltfreundliche Politik umsetzen werden. Wenn wir also anders handeln und uns nachhaltiger verhalten, würde das helfen, den Klimawandel zu begrenzen. Denn viele Ansätze, wie die Errichtung von Windparks oder Kernkraftwerken, lassen sich nur schwer umsetzen, wenn sich die Menschen vehement dagegen wehren.

Ist es angesichts eines so gewaltigen Problems wie des Klima­wandels nicht normal, dass Menschen denken, ihr eigenes Handeln bewirke nicht viel?

Jeder Einzelne hat zwar nur einen geringen Einfluss, aber als Kollektiv können wir eine große Wirkung erzielen. Die Forschung zeigt immer wieder: Je wichtiger den Menschen die Natur ist und je mehr sie sich ihres eigenen Einflusses auf Umweltprobleme bewusst sind, desto mehr erkennen sie, dass ihr Beitrag von Bedeutung ist – und das nicht nur durch ihren persönlichen Einfluss, sondern auch weil sie andere zum Handeln inspirieren und motivieren können. Denn der Mensch wird durch das Verhalten seiner Mitmenschen beeinflusst. So ist es etwa wahrscheinlicher, dass Hausbesitzer Solarmodule installieren, wenn andere in der Nachbarschaft das ebenfalls getan haben.

Was ist wichtiger: das Verhalten des Einzelnen oder das von Regierungen, Unternehmen und anderen Institutionen?

Früher haben sich Umweltpsychologen vor allem auf das individuelle Handeln konzentriert. Aber wir begreifen mehr und mehr, dass das individuelle Verhalten auch von den Entscheidungen anderer Akteure wie der Industrie oder der Politik abhängt. Und diese Entscheidungen werden letzten Endes auch von Einzelpersonen getroffen. Deshalb untersuchen wir jetzt auch, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Unternehmen oder die Politik Maßnahmen ergreifen, die die Menschen bei ihrem Engagement für den Klimaschutz unterstützen und befähigen. Denn letztlich prägen sie den Kontext, in dem wir unsere Entscheidungen treffen.

„Menschen neigen dazu,
die Bereitschaft und das Umweltbewusstsein anderer
zu unterschätzen.“

Was kann Menschen und Organisationen dazu ermutigen, sich zu verändern?

Wichtig ist zu verstehen, wie Menschen die Wahrscheinlichkeit einschätzen, dass andere handeln. Von einzelnen Konsumenten wissen wir, dass sie dazu neigen, die Bereitschaft und das Umweltbewusstsein anderer zu unterschätzen. Das könnte ihrem eigenen Handeln im Wege stehen. Aber das ist auch auf andere Ebenen übertragbar. Unternehmen spielen vielleicht mit dem Gedanken, nachhaltige Produkte anzubieten, wissen aber nicht, ob Verbraucher bereit sind, diese zu kaufen. Wohingegen die Verbraucher schließen: Die Unternehmen bieten keine nachhaltigen Produkte an, also kann ich nichts tun. Oder eine Politikerin erwartet Proteste und dass ihre Wiederwahl auf dem Spiel steht, wenn sie eine bestimmte Politik umsetzt. Ein Teil meiner aktuellen Forschung befasst sich mit der Frage, wie sich die Entscheidungsfindung verändert, wenn alle beteiligten Akteure verstehen, wie ernst die anderen den Klimawandel nehmen und wie groß ihre Bereitschaft ist, Maßnahmen zu seiner Eindämmung zu ergreifen.

Was können politische Entscheidungsträger tun, um umweltfreundliches Verhalten zu fördern?

Ein vergleichsweise hohes Potenzial bieten Strategien der Selbstverpflichtung. Man kann Menschen etwa bitten, sich zu einer bestimmten Verhaltensweise zu verpflichten, wie mit dem Fahrrad anstatt mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Eine weitere wirkungsvolle Strategie können Bottom-up-Ansätze sein, wie lokale Energieinitiativen. Menschen vertrauen eher Menschen ihresgleichen und lassen sich von ihnen auch eher inspirieren. So können sie erkennen, wie klimabewusstes Verhalten aussehen kann und welche Vorteile es hat. Manchmal braucht es aber auch nur eine einfache Erinnerung, eine kleine Aufforderung, etwa ein Schild in der Bürokantine, auf dem steht: „Wie wär’s heute mit etwas Vegetarischem?“ Das funktioniert besonders gut, wenn Menschen bereits den Willen haben, aber nicht immer rationale oder bewusste Entscheidungen treffen, weil sie nicht darüber nachdenken.

Was ist der Unterschied zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation und welche Rolle spielen sie bei Verhaltensänderungen?

Extrinsische Motivation bedeutet, etwas zu tun, weil man glaubt, dafür belohnt zu werden – oder weil man bestraft wird, wenn man es nicht tut. Es ist das Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche. Zum Beispiel fahren die Leute womöglich weniger Auto, wenn eine Maut eingeführt wird. Intrinsische Motivation kommt von innen, nach dem Motto: „Ich tue etwas, weil es mir wichtig ist und mir die Umwelt am ­Herzen liegt.“ Man fühlt sich gut dabei – es gibt einem ein warmes Gefühl. Manchmal kann ein extrinsischer Anreiz eine Verhaltensänderung auslösen und Menschen in die Lage versetzen, aus ihrer intrinsischen Motivation heraus zu handeln.

 

Vielen Menschen ist die Umwelt wichtig, das heißt, sie sind intrinsisch zum Handeln motiviert. Aber sie verhalten sich nicht immer so, weil es sehr umständlich oder unattraktiv sein kann. Unser Vorschlag aus Sicht der Umweltpsychologie lautet also: Wenn man Subventionen einführt oder unerwünschtes Verhalten besteuert und dies eindeutig mit dem Nutzen für die Umwelt verknüpft, kann immer noch eine Verknüpfung zur intrinsischen Motivation hergestellt werden.

„Mit ein oder zwei kleinen Verhaltensänderungen ist es
nicht getan. Wir brauchen einen grundlegenden Lebensstilwandel.“

Welche Studien über Verhaltensszenarien haben Sie im Rahmen Ihrer jüngsten Zusammenarbeit für den IPCC-Bericht durchgeführt?

Im IPCC-Bericht stellen wir Studien vor, die zu ermitteln versuchen, inwieweit der Klimawandel durch Veränderungen der Nachfrage eingedämmt werden kann. Wenn man es von der Nachfrageseite angeht, ließen sich die Gesamtemissionen im Vergleich zum Status quo theoretisch um 40 bis 70 Prozent reduzieren. Beachtliche Zahlen, die erreicht werden könnten, wenn wir etwa auf nachhaltige Verkehrsmittel umsteigen, weniger tierische Produkte essen und unsere Häuser energieeffizienter gestalten.

Um diese Veränderungen bei der Nachfrage zu erreichen, müssen wir auch unsere Verkehrs-, Infrastruktur-, ­Finanz- und Sozial­systeme ändern – also den Kontext, in dem wir unsere Entscheidungen treffen. Denn derzeit ist umweltfreundliches Handeln in vielen Situationen relativ kostspielig oder ziemlich unbequem. Zum Beispiel ist Fliegen oft sehr günstig, zumindest wenn Sie im Voraus buchen. Sie können für ein paar Euro von einer Seite Europas zur anderen fliegen. Zug fahren dagegen ist meist teurer und umständlicher, weil man oft umsteigen muss. Die Anreize gehen in die falsche Richtung, selbst wenn man motiviert ist, dem Klimawandel zu trotzen.

Den wahren Preis für Waren und Dienstleistungen zu bezahlen, einschließlich der Kosten für die mit ihrer Herstellung verbundene Umweltverschmutzung, wäre ein Anreiz für klimafreundliches Verhalten. Ich würde Fliegen teurer machen und auch den Fleischkonsum.

Wie beeinflussen psychologische Faktoren unsere Systeme?

Systeme werden von Menschen beeinflusst, die Entscheidungen darüber treffen, wie das System funktioniert. Ich versuche zu erforschen, wie Personen in einflussreichen Positionen Entscheidungen treffen, die sich auf den Handlungsspielraum auswirken, den der Rest von uns hat. Das Finanzsystem ist hier sehr wichtig: also wie das Geld fließt und welches Verhalten am Ende attraktiv wird. Pensionsfonds etwa tätigen Investitionen mit dem Geld, das wir ihnen geben. Eines der Ergebnisse des IPCC-Berichts ist, dass in den Sektor der fossilen Brennstoffe nach wie vor mehr investiert wird als in erneuerbare Energien. Das bedeutet, dass wir nach wie vor eine auf fossilen Brennstoffen basierende Wirtschaft fördern und nicht eine, die auf erneuerbaren Energien beruht. Auch hier müssen sich die Anreize ändern.

Wie lässt sich Zustimmung für den Wandel gewinnen?

Es ist nachgewiesen, dass Menschen gewisse Kosten – sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in Bezug auf die Bequemlichkeit – für ein nachhaltiges Verhalten in Kauf nehmen, solange die Verteilung von Kosten und Nutzen transparent und fair ist. Es geht den Leuten nicht so sehr darum, dass ihnen jede Entscheidung direkt zugutekommt. Sie verstehen, dass manchmal auch andere Interessen auf dem Spiel stehen. Die Öffentlichkeit einzubeziehen und ihr die Beteiligung am Entscheidungsprozess zu erleichtern, vermittelt dieses Gefühl von Fairness.

Wo sehen Sie Potenzial für die Umweltpsychologie, Menschen zu
klimabewusstem Verhalten zu inspirieren?

Ich interessiere mich aktuell am meisten für Veränderungen des Lebensstils, denn mit ein oder zwei kleinen Verhaltensänderungen ist es nicht getan. Wir brauchen einen grundlegenden Wandel und ich möchte verstehen, was die Menschen dazu motivieren kann, ihr Verhalten systematisch auf eine CO2-arme Lebensweise umzustellen.

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Über Linda Steg

Seit mehr als 25 ­Jahren untersucht Steg, wie sich Mensch und Umwelt gegenseitig beeinflussen. Dabei beschäftigt sie sich insbesondere mit der Frage, wie umweltfreundliches Verhalten gefördert werden kann.

 

Die Professorin der University of Groningen/Niederlande, gehört zu den Verfassern des Sechsten Weltklimaberichts, der 2022 vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), dem für die wissenschaftliche Bewertung des Klima­wandels zuständigen Gremium der Vereinten Nationen, veröffentlicht wurde. Sie ist Mitglied der IPCC-Arbeitsgruppe III, die sich mit der Eindämmung des Klimawandels befasst. 2020 erhielt sie den renommierten Stevin-Preis.

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Portrait Linda Steg

Über Linda Steg

Seit mehr als 25 ­Jahren untersucht Steg, wie sich Mensch und Umwelt gegenseitig beeinflussen. Dabei beschäftigt sie sich insbesondere mit der Frage, wie umweltfreundliches Verhalten gefördert werden kann.

Die Professorin der University of Groningen/Niederlande, gehört zu den Verfassern des Sechsten Weltklimaberichts, der 2022 vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), dem für die wissenschaftliche Bewertung des Klimawandels zuständigen Gremium der Vereinten Nationen, veröffentlicht wurde. Sie ist Mitglied der IPCC-Arbeitsgruppe III, die sich mit der Eindämmung des Klimawandels befasst. 2020 erhielt sie den renommierten Stevin-Preis.

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