Farben schreiben Geschichte
Ein Quiz rund um die Farbe.
Baumharz, Vogelkot, Erde oder synthetische Farbstoffe – so vielfältig wie die Herkunft der Farben ist auch ihre Bedeutung für Kultur, Alltag, sogar unsere Psyche. Ein kleiner Ausflug in die leuchtende Welt der Farben und Lacke.
Vor zehn Jahren stiefelte David Kremer mit dem deutschen Künstler Peter Lang in Island über Gletscher, Moose und Gesteine. Die beiden Freunde waren auf der Suche nach speziellen Farben der Insel. Sie kratzten und gruben im Erdreich, und am Ende brachten sie die Schürfrechte für drei neue Erdtöne mit: Snaefellsjoekull Rot, Heydalsvegur Gelb und Brimisvellir Grün – benannt nach den Fundorten auf der Insel. „Die Nuancen ähneln französischen und italienischen Erden, haben aber trotzdem etwas sehr Eigenes und Schönes“, schwärmt Kremer.
David Kremer hat die Leidenschaft seines Vaters Georg geerbt und führt inzwischen auch die Geschäfte der vom Vater gegründeten Firma Kremer Pigmente in Aichstetten im Allgäu. Der Weltmarktführer für historische Pigmente stellt 250 seiner insgesamt 1.500 Farben nach traditionellen Rezepten her.
Viele Rohstoffe für die Pigmentspezialisten liefert die Natur: Eierschalen, Vogelkot, Ocker aus dem Burgund, grüne Erde aus Verona, Farbstoff aus dem Drüsensekret der Purpurschnecke. Zu den Kunden zählen Künstler und Restauratoren aus aller Welt. Der Pariser Louvre und das New Yorker MoMA kaufen im Allgäu, aber auch Unternehmen wie BASF.
Vor allem die Kunstbewahrer benötigen die natürlichen Pigmente. Denn ein Gemälde, das in Florenz oder Venedig mit den dortigen Pigmenten entstanden ist, lässt sich am besten mit den Originalpigmenten aus der Region rekonstruieren.
Aber auch ganz spezielle Künstlerwünsche bleiben nicht unerfüllt. Wer etwa für sein Gemälde iPhone-Grau verwenden oder ihm mit Diamantpulver einen Hauch von Luxus verleihen möchte, bekommt es von Kremer. Farbigkeit, Materialität und der Herstellungsprozess bestimmen Kremers Blick auf die Welt der Farben. „Die wahre Farbe ist für mich alles, was rein ist und sich nicht nachmischen lässt“, sagt Kremer.
Zum Beispiel Lapislazuli. Der tiefblaue Halbedelstein ist mit einem Preis von knapp 20.000 Euro für ein Kilo feinste Ware das teuerste natürliche Pigment. Es wird nur in zwei Ländern abgebaut. Die weltweit beste, tiefblaue Qualität findet sich in Afghanistan. Doch wegen der politischen Lage ist es schwierig, sie zu kaufen. Aus Chile kommen nur blassere Steine.
Eine Frage der Kultur
Farben sind Material und Wirtschaftsgut. Aber Farben sind auch aufgeladen mit vielschichtigen Bedeutungen, Wirkungen, Gefühlen. So wird etwa Grün in China dem weiblichen Prinzip Yin zugeordnet – und steht als Symbol für langes Leben und Barmherzigkeit. Im islamischen Kulturkreis ist Grün dagegen als Farbe Mohammeds männlich. Es signalisiert unter anderem geistiges Heil und materiellen Wohlstand. Europäer wiederum verbinden mit Grün Wachstum und glauben, dass es wohltuend gegen Anspannung und Stress wirkt – und zwar so effektiv, dass einige Krankenkassen in der Schweiz inzwischen die Behandlung von Burnout-Patienten mit grünen Lichtwellen unterstützen.
Auch die klimatische Lage eines Kulturkreises beeinflusst, wie Farben bewertet werden. Wer wütend rotsieht, ist vermutlich kein Russe. Mit Rot wird in sehr kalten Ländern als Farbe der Wärme meist Positives verbunden. In Russland steht Rot für Wertvolles, Schönes, die Metapher „rotes Wort“ meint eine geistreiche Äußerung. Im arabischen Kulturkreis, wo sengende Hitze lebensbedrohlich werden kann, steht Rot für das Dämonische. In China ist es die Farbe des Glücks, daher tragen viele kleine Kinder rote Kleidung.
Von Stimmungen zu Trends
Wenn Trendberater Michell Lott aus São Paulo/Brasilien Farbtrends entwickelt, spielen für ihn weniger kulturelle Symboliken als vielmehr aktuelle Bedürfnisse eine Rolle. Über weltweite Recherchen saugt der Farbexperte Stimmungen auf, um daraus neue Farbpaletten zu kreieren – derzeit beispielsweise für Suvinil, eine Marke für Farben, die BASF in Südamerika und ausgewählten afrikanischen Ländern für Oberflächen wie Wände, Möbel oder Böden verkauft.
„Farben sind Energie. Man absorbiert sie, wenn man einen Raum betritt“, sagt der Interior-Design-Experte. Im Jahr der Corona-Pandemie, mit ihrer alarmierenden Nachrichtenflut, der Sorge um Familie und Jobs, stieß Lott auf ein gesellschaftliches Bedürfnis nach Stille und Beruhigung. Für den Rückzug ins Innere brauchte es Farben, die Menschen nicht durch weitere Energiestöße in noch mehr Unruhe versetzen. Er entwickelte eine Palette sanft pigmentierter Weißtöne unterschiedlicher Sättigungsgrade. Mineralische Färbungen, helle Grüntöne, Erd- und Braunpigmente greifen aus Lotts Sicht den Wunsch des gestressten Pandemie-Wesens auf, sich mit der Natur zu verbinden.
Inzwischen mischen sich in die von Lott entwickelte Farbpalette wieder kräftigere Farbtupfer unter die ruhigen Töne. Hier mal ein Blau, dort mal ein Candy-Orange. Für den Farbberater drückt sich so der Wunsch nach einer Rückkehr zur Lebendigkeit nach langen Lockdowns aus. Leuchtendere Farben stehen aber auch für Technologie und Digitalisierung. Dennoch ist Lott überzeugt: „Der Trend zu natürlichen Erdtönen wird zehn bis fünfzehn Jahre anhalten.“
Solchen langfristigen Entwicklungen, sogenannten Makrotrends, ist auch Mark Gutjahr, Designchef für die Region EMEA beim Unternehmensbereich Coatings der BASF, auf der Spur. Zusammen mit dem globalen Designteam hat er einen Trendradar entwickelt, mit dem unter anderem beobachtet wird, wie sich Wertvorstellungen in einer Gesellschaft dauerhaft verschieben. Denn wenn es darum geht, Trends in zeitgeistige Farben für Autos umzusetzen, dürfen kurzfristige Farbtrends, die nur ein Jahr halten wie in der Mode, keine Rolle spielen. Autofarben müssen länger als eine Saison aktuell bleiben. Das liegt zum einen an den Entwicklungszyklen und Marketingaktivitäten der Automobilhersteller, zum anderen auch am Kunden: Durchschnittlich fahren etwa Deutsche ihr Auto rund neuneinhalb Jahre. Zwei bis drei Jahre dauert die Entwicklung eines Automobillacks bis zur Serienreife. Gutjahr und sein Team sind permanent mit ihren Trendrecherchen aktiv, um immer neue Farbnuancen zu entwickeln und zu präsentieren.
Lust auf warme Töne
Gutjahr hat den Trend zu warmen Farbtonbereichen bereits in Zeiten vor Corona beobachtet. „Diese Töne stehen für den Wunsch nach einer empathischeren Gesellschaft und das weltweite Phänomen, dass Menschen ihre Lebensentwürfe nicht mehr ausschließlich nach dem Leistungsprinzip ausrichten wollen“, sagt der BASF-Chefdesigner. Die Pandemie hat die Entwicklung weiter verstärkt.
Folglich schaffte es Beige als neue Trendfarbe auf die aktuellen Farbpaletten für Autos. Grautöne werden sanfter und weniger metallisch, und bei vielen Herstellern taucht ein mineralisches Quarzgrau auf. Nach und nach schieben sich wärmere Farbtöne zwischen die harten, blaustichigen Lacke auf den Straßen. Mit seinem 33 Jahre alten Porsche in Nougatbraun-Metallic liegt Gutjahr also wieder voll im Trend. Auch aktuell begeistert eine Porsche-Farbe den Design-Chef: Frozen Berry. Der neue, warme graurosa Farbton zeigt, dass selbst sportive Autotypen vor dem Trend zur neuen Weichheit nicht zurückschrecken.
Noch aber dominieren andere Farben:
Weiß machte 26 Prozent der Neuzulassungen im Jahr 2021 in der Region Europa, Mittlerer Osten und Afrika aus. Grau liegt bei 23 Prozent, gefolgt von Schwarz mit 15 Prozent. Der beliebteste bunte Farbton war mit 14 Prozent Blau, das die Hersteller in etwa 180 verschiedenen Nuancen verwendeten. Der Anteil an bunten Farben wird in allen Fahrzeug-Segmenten wieder langsam größer.
Ein Viertel aller Mittelklassefahrzeuge ist in einem chromatischen Farbton lackiert. Bei den größeren Fahrzeugen sind es sogar 30 Prozent – ebenso wie bei den Kleinwagen. Hier ist die Farbdiversität am höchsten. Der farbliche Mut, den Autofahrer vor 30 Jahren noch an den Tag legten, ist passé: „Die vergangenen zwei Jahrzehnte waren die unbuntesten“, sagt Gutjahr. Das Silber der Nullerjahre wurde vor zehn Jahren abgelöst von Weiß, das weltweit die beliebteste Autofarbe ist. Weiß gilt als clean, elegant, edel, zeitlos und klassisch, besonders in China. Dort sind mehr als die Hälfte der Neuzulassungen weiß.
Unerreichtes Vorbild Natur
Theoretisch haben Autofahrer mittlerweile die Wahl zwischen 250.000 Farben. Doch so viel heute auch schon möglich ist – die Natur hat Farbspiele zu bieten, deren synthetische Nachahmung schwierig ist. Die aufregende Farbanmutung des Paradiesvogels, dessen Federkleid je nach Lichteinfall zwischen Orangegelb und Blaugrün changiert, fehlt Farbdesignern und Pigmentschürfern im Standard-Repertoire. Das bislang unnachahmliche Schillern verdankt der Vogel seinem Gefieder, das ganz eigen strukturiert und angeordnet ist. Unternehmen wie BASF experimentieren mit neuen künstlichen Trägersubstanzen, die das Licht so einfangen sollen, dass es schillert wie der Paradiesvogel.
Während die Industrie an immer neuen Stufen der Perfektion arbeitet, fahndet Kremer weiter nach Unregelmäßigkeiten, wie sie nur die Natur zu bieten hat. Im Visier hat er derzeit ein spezielles Baumharz. Und zwar eines, mit dem sich ein Lack herstellen ließe, der weniger sauber ist als die heute erhältlichen. Dieser ist das Objekt der Begierde ambitionierter Geigenbauer, die auf der Jagd nach der bestmöglichen Reproduktion des einzigartigen Stradivari-Klangs sind. Um ihn zu erzeugen, braucht die Geige ihren Lack aus natürlich verunreinigten Baumharzen, wie Antonio Giacomo Stradivari sie vor rund 300 Jahren vorfand.
Weiterführende Links
Und was sehen sie?
Der Mensch nimmt über drei Arten von Farbrezeptoren (blau-, grün- und rotempfindlich) zwischen 100.000 und 1 Million Farben wahr. Doch es geht noch besser. Im Tierreich tummeln sich Spezialisten für ultraviolettes (UV) Licht, Meister des Spektralfarbensehens – aber auch Farbenblinde. Klicken Sie auf der Plus-Zeichen, um Ihre Wahrnehmung zu überprüfen.
Hund und Katze
besitzen wie die meisten Landsäugetiere nur zwei verschiedene Typen von Farbrezeptoren. Sie sehen ihre Umgebung nur in Blau- und Gelb-Schattierungen. Dafür können ihre Augen Bewegungen besser wahrnehmen als der Mensch, was für sie als Jäger wichtig ist.
Meeressäuger
wie Wale und Robben haben im Laufe der Evolution einen Farbrezeptor verloren und sehen die Welt nach aktuellem Wissensstand nur in Schwarz-Weiß und seinen Zwischentönen. Das Auge eines Bartenwals kann sogar nur Licht und Dunkel unterscheiden.
Vögel
sind Meister des Farbensehens. Zusätzlich zu Rot, Grün und Blau können sie kurzwelliges UV-Licht sehen. Damit erkennen sie Blattstrukturen besser. Das hilft ihnen bei der Orientierung im Wald.
Geckos
Die nachtaktiven Geckos nutzen ihre drei Arten von Farbrezeptoren für das Sehen bei schwachem Licht. Damit ist ihre Welt auch nachts voller Farben. Die meisten anderen Wirbeltiere und der Mensch sind bei Nacht dagegen farbenblind.
Fangschreckenkrebse
nehmen die Grundfarben ihrer Umgebung mit über zehn verschiedenen Farbrezeptoren extrem schnell wahr. Das spart dem Gehirn Energie und Zeit, wenn der Krebs seine potenzielle Beute identifiziert.
Schmetterlinge
Farbchampion unter den Schmetterlingen ist der Kolibrifalter. Er besitzt 15 verschiedene Farbrezeptoren – fünf allein für rotes Licht, mehrere für diverse Blautöne, Grüntöne und UV-Licht. Sie helfen vermutlich, versteckte Blüten zu finden.