Innovation

Liqun Ren

Jedes Jahr landen Millionen Tonnen Plastik in unseren Böden und Gewässern, wo es Hunderte von Jahren dauern kann, bis sie abgebaut sind. Biopolymere bieten eine nachhaltige Alternative zu herkömmlichen Kunststoffen. Sie werden aus nachwachsenden Rohstoffen anstelle von Erdöl hergestellt oder können von natürlich vorkommenden Mikroben biologisch abgebaut werden – so eliminieren sie Mikroplastik und reduzieren Treibhausgasemissionen. Dieses Interview folgt der Reise einer chinesischen Wissenschaftlerin, die Biopolymere entwickelt und damit Pionierarbeit für die Art und Weise leistet, wie wir polymere Materialien herstellen und verwenden. Liqun Ren ist entschlossen, das Problem der Plastikverschmutzung zu lösen, und sie ist sicher, dass Biopolymere eine vielversprechende Option sind.

Man könnte sagen, du arbeitest daran, dass Plastik zur Pflanze wird. Was bedeutet das konkret?

Ich forsche an Biopolymeren, das sind zertifizierte biologisch abbaubare Polymere und entwickle damit neue, biologisch abbaubare Produkte für verschiedene Branchen, zum Beispiel Landwirtschaft, Kosmetik, Waschmittel und Verpackungen.

Ich untersuche, wie Chemikalien und Polymere von natürlich vorkommenden Mikroben in verschiedenen Umgebungen wie Boden, Klärschlamm und Kompost abgebaut und verstoffwechselt werden können. Mit meinem Team machen wir in unserem Labor auf dem Innovation Campus in Shanghai Experimente, um den Metabolisierungsprozess zu untersuchen. Wir wollen den biologischen Abbau genau verstehen: worum es geht, warum er passiert, wie er stattfindet und wie er uns in unserem täglichen Leben helfen kann.

Liqun Ren im Labor.

Teamleiterin Liqun Ren entwickelt neue biologisch abbaubare Produkte, die von natürlich vorkommenden Mikroben im Boden abgebaut werden können.

Ein Beispiel, bei dem unsere Produkte einen großen Unterschied machen können: Reis – eine der am häufigsten angebauten Nutzpflanzen Chinas. Der ökologische Reisanbau wächst in China. Traditionell müssen diese Bauern in China das Unkraut manuell bekämpfen, was sehr arbeitsintensiv und kostspielig ist und ökologischen Landbau in großem Maßstab nahezu unmöglich macht. Oftmals leiden die Landwirte unter den geringen Erträgen und hohen Kosten des ökologischen Landbaus und verwenden schwarze Mulchfolien aus Polyethylen (PE) zur Unkrautbekämpfung. PE-Mulchfolien müssen jedoch nach der Ernte aus dem Boden entfernt werden. Dies ist im Reisfeld nicht vollständig möglich, was dazu führt, dass sich PE-Folienreste im Boden ansammeln, da sie von den Mikroorganismen im Boden nicht biologisch abgebaut werden können.

Mulchfolien aus zertifiziertem, bodenbiologisch abbaubarem ecovio® M2351 können dieses Problem lösen: Sie können nach der Reisernte einfach in den Boden gepflügt werden, da natürlich vorkommende Mikroorganismen im Boden die Folie als Nahrung erkennen und sie verstoffwechseln. Neben der Unkrautbekämpfung tragen diese Mulchfolien aus Biopolymeren dazu bei, den Wasserverbrauch zu senken und den organischen Ertrag deutlich zu steigern. 

Ich arbeite seit mehreren Jahren mit Landwirten in der Provinz Yunnan im Südwesten Chinas zusammen, und macht mich immer wieder glücklich zu sehen, wie ecovio den Biobauern hilft und die kleinen grünen Setzlinge nach dem biologischen Abbau ohne Spuren unseres Mulchfilms im Boden sprießen. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage „vom Plastik zur Pflanze“.

Liqun Ren im Labor.

Im Labor testet Liqun Ren die biologische Abbaubarkeit ihrer Proben für neue, biologisch abbaubare Funktionspolymere.

Wo ist die Verbindung zwischen Biopolymeren und unserem Alltag?

Biopolymeren kommen in den eben erwähnten Mulchfolien zum Einsatz, die nach der Herbsternte einfach in die Erde gepflügt und von Bodenpilzen und Bakterien zu CO2 und Wasser verstoffwechselt werden können. Auf diese Weise tragen Biopolymere dazu bei, PE-Mikroplastik im organischen Abfallstrom und auf landwirtschaftlichen Flächen zu vermeiden. Ein weiteres gutes Anwendungsbeispiel für Biopolymere sind zertifiziert kompostierbare Biomüllbeutel, die zusammen mit Küchenabfällen zu wertvollem Kompost als „Bodenverbesserer“ kompostiert werden können.

Doch die Anwendungsmöglichkeiten für biologisch abbaubare Polymere sind weitaus vielfältiger. Auch die Waschmittel, die wir täglich zum Wäsche- und Geschirrspülen verwenden, enthalten Tenside und Polymere. Biologisch abbaubare Reinigungsmittel werden nach ihrer Verwendung in die Kläranlage geleitet, wo sie von Belebtschlammmikroben zu CO2 und Wasser abgebaut werden. Das aufbereitete Wasser, das in unsere Flüsse zurückfließt, ist sehr rein. Biopolymere tragen also auch dazu bei, unsere Flüsse sauber zu halten.

Liqun Ren mit ihrer Kollegin im Labor.

Wie können wir verhindern, dass Mikroplastik in landwirtschaftliche Böden gelangt? Zusammen mit ihrem Team erforscht Liqun Ren zertifizierte biologisch abbaubare Polymere.

Wie können Biopolymere zu einer nachhaltigeren Welt beitragen?

Biopolymere, genauer gesagt zertifizierte biologisch abbaubare Polymere, erweitern die End-of-Life-Optionen für Kunststoffprodukte und reduzieren die Treibhausgasemissionen im Vergleich zur Entsorgung auf einer Deponie. Sie unterstützen die Kreislaufwirtschaft, indem sie den Nährstoffkreislauf der Lebensmittelwertschöpfungskette schließen – von der Produktion über den verantwortungsvollen Konsum bis hin zum organischen Recycling und Kompost für den landwirtschaftlichen Boden. Sie tun dies, indem sie eine sauberere und einfachere Sammlung von organischen Abfällen ermöglichen und verhindern, dass Mikroplastik durch ungeeignete Kunststoffabfälle in organisches Recycling oder landwirtschaftliche Böden gelangt. In Reinigungsmitteln helfen sie, das aufbereitete Wasser und damit unser Grundwasser sauber zu halten.

Was sind die größten Herausforderungen in deiner Biopolymerforschung?

In meinem Arbeitsalltag stehe ich vor der spannenden Herausforderung, biologische Abbaubarkeit und Leistung in einem neu entwickelten Produkt zu vereinen. Wie können wir mit unserem ecovio eine Formulierung für zertifizierte, bodenbiologisch abbaubare Mulchfolien entwickeln, die für Reis in der Provinz Yunnan bestimmt ist? Es ist nicht einfach, das perfekte Gleichgewicht zu finden: Wir müssen einen vorzeitigen biologischen Abbau verhindern und gleichzeitig die vollständige biologische Abbaubarkeit nach der Pflanzenernte im Boden garantieren. Dies ist eine Herausforderung, da wir sicherstellen müssen, dass die Polymere von den Mikroben der Natur abgebaut und verstoffwechselt werden können, während ihre Funktionalität als Produkt erhalten bleibt.

Welches Potenzial haben Biopolymere? Können sie herkömmliches Plastik vollständig ersetzen?

Biopolymere, insbesondere zertifizierte biologisch abbaubare Polymere, sind ein vielversprechendes Material für nachhaltige Einwegprodukte. Als Antwort auf das wachsende Problem des "weißen Abfalls" von Verpackungen aus der Online-Lieferung von Lebensmitteln in China haben wir Pappbecher und -schalen entwickelt, die mit dem zertifizierten kompostierbaren Polymer ecovio® PS1606 beschichtet sind. Diese Produkte bieten die für Verpackungsanwendungen erforderlichen Leistungseigenschaften und sind gleichzeitig in den Bioabfallbehandlungsanlagen kompostierbar.

Ich erwarte nicht, dass Biopolymere Kunststoffe vollständig ersetzen werden. Zum Beispiel brauchen wir immer noch langlebige Materialien für unsere Autos, unsere Haushaltsgeräte und andere Anwendungen. Biologisch abbaubare Polymere können jedoch in vielen Verpackungsanwendungen eine wertvolle Alternative zu herkömmlichen Kunststoffen sein.

Eine Forschungsprobe eines biologisch abbaubaren Funktionspolymers, das Liqun Ren in ihrem Labor getestet hat.

Eine Forschungsprobe eines biologisch abbaubaren Funktionspolymers, das Liqun Ren in ihrem Labor getestet hat.

Warum bist du Wissenschaftlerin geworden?

Als ich ein Kind war, war der Herbst meine Lieblingsjahreszeit. Ich liebte die frische Luft, die bunten Blätter und das Gefühl der Veränderung in der Luft. Aber ich hatte auch viele Fragen: Warum fallen Blätter von Bäumen? Warum verschwinden sie im Boden? Was ist ihr nächstes Ziel? Meine Neugier auf Naturwissenschaften führte mich zum Studium der Polymerchemie an der Universität Marburg in Deutschland und zu meinen heutigen Forschungstätigkeiten. Als Wissenschaftlerin konnte ich endlich die Fragen beantworten, die mich schon so lange fasziniert hatten.

Liqun Ren in the lab.

Schon als Kind war Liqun Ren neugierig, wie die Prozesse in der Natur funktionieren. Jetzt hat sie die Antworten.

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Als Mutter von zwei Kindern hoffe ich, dass wir auch künftigen Generationen den gleichen hohen Lebensstandard ermöglichen können, den wir haben. Ich bin davon überzeugt, dass Bildung und Wissen uns neue Wege eröffnen, mit Veränderungen umzugehen. Daher kann jeder einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten.

Als 2019 die verpflichtende Mülltrennung in Shanghai begann, erklärte ich meinen Kindern, warum sie wichtig ist, und wir übten die Mülltrennung aktiv zu Hause. Ich habe auch versucht, mehr von meiner Freizeit in der Natur zu verbringen, wie z.B. beim Wandern, und der Natur mehr Aufmerksamkeit zu schenken und sie zu schützen. Ich glaube, dass die beste Zukunft eine ist, in der Mensch und Natur in Harmonie leben, da wir in vielerlei Hinsicht miteinander verbunden sind.

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Dirk Voeste: Die Wichtigkeit von Bodengesundheit

Fest eingeschlossen

BASF sucht ebenfalls nach Möglichkeiten, CO2 abzuscheiden und zu speichern. Wie etwa in einem Projekt mit Air Liquide, bei dem das Unternehmen an seinem Verbundstandort im belgischen Antwerpen die weltweit größte grenzüberschreitende Wertschöpfungskette zur Speicherung von CO2 (Carbon Capture Storage, CCS) entwickelt. Das Ziel: die Beförderung von CO2 zu Offshore-Senken mithilfe der Hafeninfrastruktur von Antwerpen-Brügge.

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